Michas Klasse: Efe und der Traum von der Anmeldung im Fußballverein

Sein Türkisch hat einen deutschen Akzent, sein Herz schlägt für die Bayern — und die Familie seines Vaters ist geteilt.

Michas Klasse: Efe und der Traum von der Anmeldung im Fußballverein
Foto: Barbara Sarx

Burscheid. An den Moment seiner Ankunft in Burscheid kann sich Fahrettin Kanbey noch ganz genau erinnern: Es war der 26. September 1986 um 15 Uhr. Es war der Tag, an dem sein Vater ihn nach Deutschland holte, weil er selbst wegen der gut bezahlten Arbeit bei Goetze nicht in die Türkei zurückkehren wollte. Es war der Tag, an dem die Familie auseinandergerissen wurde.

„Ich habe mich schlecht gefühlt“, erzählt er. Ein Jahr lebt der damals 14-Jährige allein bei seinem Vater, dann kommen der jüngere Bruder und die Mutter aus Anatolien nachgereist. Die drei anderen Geschwister dürfen nicht mit, weil sie schon über 18 sind wie die Schwestern oder als ihr einziger männlicher Schutz zurückbleiben sollen wie der ältere Bruder. Die drei ziehen stattdessen zeitgleich nach Istanbul.

Heute sagt Fahrettin Kanbey über seine Familie: „Wir sind geteilt. Die drei Geschwister, die in der Türkei geblieben sind, halten zusammen und sind anders als wir. Sie denken, wir sind alle Millionäre, und sehen nicht die Wahrheit, dass wir für jeden Euro arbeiten müssen.“

Michas Klasse

Er hat nach seiner Ausbildung zum Schlosser an vielen Stellen und in vielen Orten gearbeitet, auch in Berlin. Aber immer wieder führte der Weg zurück nach Burscheid. Als er dann seine heutige Frau kennenlernt und sie ihm im Anschluss an die Hochzeit 2001 nach Deutschland folgt, ist das für sie ein Schock: aus dem quirligen Millionen-Moloch Istanbul in das Straßendorf Hilgen. Ohne Freundinnen, ohne Sprachkenntnisse, keine Arbeit als Schneiderin mehr, sondern Hausfrau. „Das ist alles so klein hier“, denkt sie.

Inzwischen empfinden beide Burscheid als ihre Heimat. „Drei Wochen Türkei im Sommer sind gut, vier sind zu viel“, sagt Fahrettin Kanbey. Sein ältester Sohn Ali hat noch die doppelte Staatsbürgerschaft, Efe und sein jüngerer Bruder sind Deutsche. Und doch betrübt ihren Vater die Erfahrung: „In der Türkei sind wir Ausländer und hier sind wir Ausländer. Wir werden immer Ausländer bleiben.“

Der Mitarbeiter des Baubetriebshofs hat seine Konsequenzen daraus gezogen: Er hält Distanz — nach allen Seiten. „Leben und leben lassen“, ja, aber keine zu große Nähe, auch nicht zu den türkischen Landsleuten. Der Türkisch-Islamische Kulturverein spielt für ihn kaum eine Rolle, die Religion auch nicht. Echte Freunde finden sich in all der Zerrissenheit „eher in der Türkei. Dort sind die Menschen herzlicher.“

Hier dagegen, glaubt er, „gibt es immer wieder jemanden, der dir Steine vor die Füße legt.“ Sein Ältester sollte wegen seiner Sprachschwierigkeiten auf die Sonderschule geschickt werden. Heute besucht er stattdessen die 6. Klasse der Realschule. „Egal wo wir auftauchen“, sagt Kanbey, „es interessiert niemanden, wer wir sind, sondern wir bekommen immer zu spüren, dass wir Ausländer sind. Uns geht es eigentlich wunderbar hier, aber dagegen kommen wir nicht an.“

In der Familie werden beide Sprachen gesprochen, bei Efe soll der deutsche Akzent auf Türkisch am deutlichsten zu hören sein. Gerade zwei Wochen ist es her, dass sich der achtjährige Bayern-Fan seinen Traum erfüllen und sich beim BV Burscheid anmelden wollte. Doch in der Zeit des Probetrainings ließen die Schulleistungen nach. Da hat ihm sein Vater vorerst einen Strich durch die Rechnung gemacht. „Die Anmeldeunterlagen liegen schon hier, aber erst muss es besser werden in der Schule.“ Denn das ist die Summe der Erfahrungen aus 28 Jahren in Deutschland: Geschenkt bekommt man nichts in dieser manchmal noch so merkwürdig fremden Heimat.

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