Auch mit Perücke kann Frau natürlich aussehen

Die Kölner Friseurin Tatjana Richartz hilft Frauen, die durch eine Chemotherapie ihre Haare zu verlieren drohen — mit Maßarbeit und mit viel Gefühl.

Auch mit Perücke kann Frau natürlich aussehen
Foto: Monika Werner-Staude

Köln. „Ich freue mich einfach, wenn Menschen sich freuen“, meint Tatjana Richartz. In ihrem Geschäft bietet die 36-jährige Kölnerin ihren Kundinnen gleich dreifach Anlass zur Freude: durch eine neue Frisur, ein Make Up oder eine Perücke. Diese fertigt sie vor allem auch für Frauen an, die wegen einer Chemotherapie ihre Haare zu verlieren drohen. Die Patientinnen kommen aus ganz Deutschland zu ihr. Kranke müssen nicht krank aussehen.

Auch mit Perücke kann Frau natürlich aussehen
Foto: Monika Werner-Staude

Ihr Weg zeichnet sich früh ab. „Schon als Kind schminkte ich meine Geschwister und drehte ihre Haare auf Wattestäbchen auf“, schmunzelt Tatjana Richartz. Dem Rat der Mutter und dem eigenen Ehrgeiz folgend sucht sie nach einer Friseurlehre 2001 den Weg in die Maskenbildnerei. Weil sich dort nicht sofort ein Ausbildungsplatz findet, nutzt sie die Zeit und sammelt bei einer Fernsehproduktionsfirma praktische Erfahrungen. Mit Erfolg. In einer mehrseitigen Mappe listet sie heute ihre vielfältigen Arbeiten und erworbenen Qualifikationen auf — sie wirkt bei Roland Emmerichs „Anonymus“ und Oscar Roehlers „Agnes und seine Brüder“ oder auch bei den Salzburger Festspielen mit. Richartz erinnert sich: „Das lief so gut, dass ich freiberuflich als Maskenbildnerin arbeiten und so den Friseurmeister finanzieren konnte.“ Auch die Ausbildung zur Maskenbildnerin klappt — 2008 bis 2011 lernt sie am Deutschen Theater Berlin „einem Schlaraffenland für Maskenbildner“. In der Hauptstadt bleiben will sie aber nicht. Das Kölsche Kind („ich kriege Tränchen in den Augen, wenn ich den Dom sehe“) ist bereit, sesshaft zu werden, und kehrt zurück.

Für das eigene Geschäft prägend wird ein trauriger Zufall. „Eine Freundin meiner Schwägerin war schwer erkrankt und brauchte eine Perücke“, erzählt Tatjana Richartz, die helfen will und erkennen muss, dass Patientinnen, die wegen einer Chemotherapie ihre Haare lassen müssen, wenig Hilfe finden: „Sie sind auf Standardware angewiesen oder auf Geschäfte, wo Menschen arbeiten, die keine Ahnung haben.“

Die kreative Frau legt sich ins Zeug und fertigt eine passgenaue Haarpracht, die sich nicht von der echten unterscheidet. Die erkrankte Freundin ist glücklich und Richartz erkennt „das ist mein Ding. Haare sind ein Statement. Wenn sie fehlen, wird man angestarrt. Deshalb wollen wir nah ans natürliche Original.“ Die Friseurin stellt handwerkliches Können „ohne Chichi“, Kreativität und Empathie („kein Mitleid“) in den Dienst der Frauen.

Seit Januar 2016 führt Tatjana Richartz den Laden in der schmalen Gasse in der Kölner City. Zunächst arbeitet sie allein, seit 2017 mit zwei Angestellten und zwei Auszubildenden. Auf 110 Quadratmetern und in gemütlicher Wohnzimmeratmosphäre finden hier Frisierplätze, Waschplätze, Schminkecke mit riesigem illuminiertem Spiegel und Perückenwerkstatt Platz und viele Gespräche statt. Alles ist offen, Integration heißt das Ziel.

Nur Beratung und Perückenanpassung finden in einem separaten Raum statt, um die Privatsphäre der Frauen zu schützen, nicht um etwas zu verheimlichen. Richartz: „Krebs ist eine Alltagskrankheit, die jedem passieren kann.“ So manche Kundin fragt hinterher neugierig, was denn in dem Raum geschehen sei, da sie keinen Unterschied sieht.

Drei Termine sind für die richtige Perücke nötig. Beim ersten Mal — möglichst vor Beginn der Chemotherapie — werden Kopfmaße, Haarfarbe, und -länge festgehalten, Fotos gemacht, wichtige Fragen geklärt. Nicht selten muss Richartz mit dem Gedanken aufräumen, die Perücke zur Typveränderung zu nutzen. „Ich rate davon ab, da die Perücke Selbstschutz ist. Die Frauen sollen dann darüber reden, wenn sie es wollen, und nicht weil sie anderen auffallen.“ Beim zweiten Termin werden verschiedene Modelle anprobiert, ausgewählt und angepasst, beim dritten Termin wird die Perücke abgeholt.

Mittlerweile kommen auch schon Frauen zum ersten (Gratis-)Haarschnitt nach der Chemotherapie. „Manche nehmen dann die Perücke ab und sagen stolz: ’ Jetzt können Sie schneiden.’“, freut sich Tatjana Richartz: „Letztlich saßen zwei nebeneinander und tauschten sich über ihre Erfahrungen aus. Genau so wollte ich das.“

Weitere Läden — in Düsseldorf oder Essen — sind möglich.

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