„Die Patienten sind viel offensiver geworden“

Dr. Tobias Walter ist seit zehn Jahren in der Praxis an der Montanusstraße. Im Rückblick spricht er über den Vormarsch psychosomatischer Erkrankungen, Dr. Google und Entschleunigung.

„Die Patienten sind viel offensiver geworden“
Foto: Siewert

Burscheid. Dr. Google ist der gefragteste Kollege von Dr. Tobias Walter. „Häufig kommen Patienten in meine Praxis mit einem Internetausdruck und sagen: ,Das habe ich!’“ Der Facharzt für Allgemeinmedizin hat am 1. Oktober 2007 die Praxis von Dr. Peter Steinig übernommen. Zehn Jahre, in denen sich viel verändert hat. Nicht nur dadurch, dass es die ärztliche Diagnose mittlerweile per Mausklick gibt.

„Die Patienten sind viel offensiver geworden“, sagt der Mediziner, der mit seiner Kollegin Canan Kirlak-Izgi, Fachärztin für Innere Medizin, der Assistenzärztin Andrea Hulverscheidt und einem sechsköpfigen Team die Praxis an der Montanusstraße betreut. Und dieser Offensiv-Geist habe nicht nur etwas damit zu tun, dass er oft eine vorgefertigte Diagnose vorgelegt bekomme. Auch Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen würden — häufiger als noch vor zehn Jahren — eingefordert. Und zwar auch als Hilferuf: ein Großteil der Patienten leide heute unter psychosomatischen Erkrankungen. Tendenz steigend. Eine mögliche Ursache: Beruflicher Stress. Und der mache nicht vor Gehaltsklassen halt. „Das betrifft alle — von der Reinigungskraft bis zum Geschäftsführer.“ Und immer mehr Kindern würden betroffen sein. Auch Walter selbst ist vor Stress nicht gefeit. „Ich hatte früher eine Zehn-Minuten-Taktung.“ Das sei irgendwann nicht mehr zu leisten gewesen. „Man muss das Tempo rausnehmen.“ Auch weil die Medizin selbst immer schneller werde — wenn auch zum Vorteil für den Patienten.

Die Patientenzahlen sind übrigens deutlich gestiegen. Im ersten Quartal 2008 waren es noch 1680, im ersten Quartal dieses Jahres bereits 2500. Tendenz auch hier: Steigend! Hausbesuche wie früher jeden Tag seien längst nicht mehr zu leisten. Bei entsprechenden Hausbesuchsrunden wechselten sich alle drei Ärzte ab.

Dennoch müsse Platz geschaffen werden für Patienten und Team. „Wir werden praxisintern erweitern“, sagt der Burscheider Arzt. Der Laborbereich werde abgetrennt und künftig Raum genutzt, der nur zehn Minuten am Tag benötigt werde. Bleibt eine Frage noch offen: Was passiert eigentlich mit dem Internetausdruck, den Patienten dem Burscheider Arzt zeigen? „Der landet sofort im Papierkorb“, sagt der Arzt. „Und dann frage ich den Patienten selbst, was er hat.“

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