Die Ära Johannes Stert geht dem Ende entgegen

Der Dirigent verabschiedet sich vom freiberuflichen Künstlerleben und wird Musiklehrer in Stuttgart.

Die Ära Johannes Stert geht dem Ende entgegen
Foto: Barbara Sarx

Burscheid. 1999 hatte sich Dirigent Johannes Stert das erste Mal vom Orchesterverein Hilgen (OVH) verabschiedet und war doch immer wiedergekommen. Die Verbindung Stert—OVH hat im Laufe der Zeit fast institutionalisierte Züge angenommen: Im nächsten Jahr hätte man Silberhochzeit gefeiert. Aber jetzt steht die dann doch wohl endgültige Trennung bevor — in aller Freundschaft, wie sich das nach all den gemeinsam gefeierten Erfolgen auch kaum anders denken lässt.

Das Orchester wurde Anfang der Woche zunächst durch eine Mail des 50-jährigen Dirigenten und dann bei Proben auch von ihm persönlich über den bevorstehenden Abschied informiert. Der Grund, der hinter seiner Entscheidung steht, wirft ein durchaus beklemmendes Licht auf all die Unwägbarkeiten des freischaffenden Künstlerlebens.

Stert, obgleich international erfolgreich mit zwischenzeitlichen Engagements an Opernhäusern in Graz, Lissabon und Kopenhagen, hat doch seit seiner Zeit als Kapellmeister am Kölner Opernhaus keine Festanstellung mehr genossen — eine Unsicherheit, die offenbar zunehmend an seinem Nervenkostüm gezerrt hat. „Ich kann und will nicht mehr an vier verschiedenen Stellen mein Geld zusammenkratzen“, sagt der zweifache Familienvater.

Zum kommenden Schuljahr wird Stert, selbst Waldorfschüler, daher als Musiklehrer an eine große zweizügige Waldorfschule in Stuttgart mit 900 Schülern wechseln. „Dort soll ich neben dem Unterricht in den Klassen 10 bis 13 vor allem auch Orchester und Chöre aufbauen.“ Man habe ihn gewollt, „wohlwissend, dass ich zwar viel mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet, aber die entsprechenden Didaktikscheine nie belegt oder gar abgeschlossen habe.“

Auf der Habenseite des völligen Neuanfangs, den Stert das erste Mal schon 2006 erwogen hatte: neben der finanziellen Sicherheit die Chance, längerfristig in einem Team zu arbeiten, etwas entstehen zu lassen und auch weiter begleiten zu können. „Auch mit Kindern kann man Kunst machen.“ Dagegen steht der notgedrungene Abschied vom OVH. „Das tut mir sehr weh. Ich hätte unheimlich gerne in Burscheid weitergewirkt.“

So werden die zwei noch ausstehenden Konzerte mit dem Orchester nun überraschend zu seiner Abschiedsvorstellung. Am 22. März dirigiert er die Bläser beim „Rosenkavalier“ in Opladen und hat angesichts der neuen Entwicklung auch seine jüngste Komposition „Rêve“ (Traum) ins Programm genommen — ein Werk, das gerade auch von der Königlichen Militärkapelle Guides in Belgien eingespielt wird. Und am 9. November wird es im Altenberger Dom noch die Uraufführung eines Stert-Werks für Orgel und Orchester geben.

Der OVH steht nun vor einer wirklichen Zäsur. „Wehmütig und traurig“, so beschreibt der Vorsitzende Martin Mudlaff die derzeitige Atmosphäre innerhalb des Orchesters. Von der Entwicklung sei man aber nicht überrascht worden und es gebe ein breites Verständnis für die Entscheidung. „Wir hatten nur gehofft, dass der Kelch noch möglichst lange an uns vorübergeht.“

Zugleich seien alle „fest entschlossen, dass es gut weitergeht“. Zurzeit ist der OVH mit zwei Dirigenten im Gespräch. Sie sollen aber nicht zu Probedirigaten eingeladen werden, sondern zunächst jeweils ein Projekt mit dem Orchester gestalten. Das Erste davon wird die Aufführung von „Peter und der Wolf“ Ende November sein.

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