Osterfest Alte Geschichte vom Sieg des Lebens

Nirgendwo sonst ist der Zugang zum Christentum so sperrig wie Ostern. Dabei ist die Kernbotschaft auch weltlich geradezu dramatisch aktuell. Eine Spurensuche in der Kirche St. Laurentius.

Burscheid. Der Pelikan holt mit seinem eigenen Blut seine Jungen ins Leben zurück. Eine Szene, theologisch aufgeladen als Sinnbild für den Opfertod Jesu. In der katholischen Kirche St. Laurentius findet sie sich in einem Relief an der Tür zur Beichtkapelle wieder. Gleich daneben folgt mit dem Osterlamm noch eine weitere Opferdarstellung.

Kreuzestod und Auferstehung, Leid und Erlösung bilden das religiöse Fundament für das Osterfest. Seit Jahrhunderten arbeiten sich Theologen an den Erklärungen dafür ab und suchen nach Übersetzungen in die Gegenwart, mit mehr oder weniger Erfolg und dabei gerne auch heftig streitend. Nirgendwo sonst ist der Zugang zum Christentum so sperrig wie an seinem wichtigsten Fest — weil im Gedanken der Auferstehung der Verstand sich ganz auf den Glauben verlassen muss, so er dazu denn überhaupt bereit ist.

Wer nach Zeugnissen für diese Übersetzungsversuche Ausschau hält, kann bei einem Gang durch St. Laurentius wie in einem Buch lesen. Die Kirche ist angefüllt mit österlicher Symbolik. Und dabei wird immer mehr deutlich, dass die Ostergeschichte nicht nur ein zentrales Glaubensmotiv erzählt, sondern auch eine blutgetränkte Menschheitserfahrung: von tiefster Verzweiflung und neuer Hoffnung.

Es ist der zynische Gipfel der vorösterlichen Anschläge von Brüssel, dass dabei auch Nagelbomben zum Einsatz kamen. Wer Fotos aus der belgischen Hauptstadt betrachtet, stößt auf Entsetzen, Leid, Tod. Wer den insgesamt 14 Bildern zum Kreuzweg Jesu im Nazarener Stil folgt, wie sie in der Burscheider Kirche aufgehängt sind, findet das alles auch dort wieder.

Die seit den Anschlägen am Dienstag angelaufene Berichts- und Erklärungsmaschinerie auf allen Medienkanälen überdeckt, dass es angesichts all des herzzerreißenden Leids und der Grausamkeit des Todes vor allem ein urmenschliches Bedürfnis gibt: zu schweigen. Der Karfreitag, ein stiller Feiertag, ist der religiöse Ausdruck dieses Bedürfnisses.

„Zwischen Gründonnerstag und der Osternacht schweigen die Glocken“, erklärt Pfarrer Temur Bagherzadeh. Das gilt nicht nur für die Turmglocken von St. Laurentius. Auch die Beginnglocke am Eingang der Kirche wird in dieser Zeit nicht als Auftaktsignal für den Gottesdienst benutzt. Und statt der Altarschellen sind am Nachmittag zur überlieferten Todesstunde in der traditionellen Feier vom Leiden und Sterben Christi nur Holzklappern zu hören, Zeichen der Trauer.

Und dann, inmitten der Trauer, der Verzweiflung und Wut die Sehnsucht nach Licht. Klein, verletzlich, Kerzenlicht. Es wurde in Paris entzündet, es wurde in Brüssel entzündet, die sozialen Netzwerke sind voll von Kerzenfotos als Ausdruck der Anteilnahme — und als erster Hinweis darauf, dass aus der Erstarrung ein Weg zurück ins Leben gesucht wird.

Die Osternacht der katholischen Gemeinde beginnt am Samstagabend vor der Friedhofskapelle, an der Schnittstelle von Tod und Leben. Dort wird das Osterfeuer entzündet, daran die neue Osterkerze, die in der Gemeinde selbst entstanden ist. Das Licht, das von ihr ausgeht, soll das Leid nicht ausblenden: Fünf Wachsnägel stehen für die fünf Wundmale Jesu an beiden Händen, den Füßen, der Seite und auf dem von der Dornenkrone verletzten Haupt.

Aber eben doch ein Hoffnungszeichen. Vom Friedhof wird die Kerze in die völlig dunkle Kirche getragen. Dann ertönt dreimal der Ruf „Lumen Christi“ (Licht Christi) und dreimal die Antwort der Gemeinde: „Deo gratias“ (Dank sei Gott). Danach wird das Kerzenlicht weitergereicht. Kleine Osterkerzen in Plastikbechern erhellen nach und nach die Kirche immer mehr. Am Ende hat das Licht die Finsternis verdrängt und das Leben den Tod. Der Ständer für die Osterkerze zeigt den auferstandenen Jesus vor dem offenen Grab.

Wenn Christen versuchen, die Osterbotschaft zusammenzufassen, dann sprechen sie davon, dass der Tod bei Gott nicht das letzte Wort hat. In der Auferstehung sehen sie die Erlösung aller Menschen von Schuld und Leid und Tod. Aber auch ein weltlicher Blick auf das Osterfest findet darin einen heilsamen Prozess wieder, der Menschen durch die Jahrtausende immer wieder dazu bewegt hat, dem Destruktiven nicht alle Macht über das eigene und das Leben anderer zuzugestehen. Anders sind die gesellschaftlichen Auferstehungen aus den Blutbädern der Geschichte nicht zu erklären.

Wenn man so will, erzählt die Ostergeschichte also nicht nur von der Kernbotschaft des christlichen Glaubens, sondern zugleich von dem urmenschlichen Widerstreit zwischen abgrundtiefer, auswegloser Verzweiflung und der Hoffnung auf ein besseres Morgen. Und sie erzählt diese Geschichte nicht neutral, sondern dramaturgisch mit einer eindeutigen Haltung: Am Ende wird das Leben siegen.

Diese Haltung lässt sich auch an der Einbettung des Osterfestes ablesen. 40 Tage umfasst nach kirchlichem Verständnis die Fastenzeit zwischen Aschermittwoch und Karsamstag, aber 50 Tage die Osterzeit bis zum Pfingstfest. „Auch hier kommt zum Ausdruck, dass die Hoffnung größer ist als der Tod“, sagt Bagherzadeh.

Sätze des Trostes nach so schockierenden Ereignissen wie den Anschlägen von Brüssel können zu früh kommen. Dann klingen sie nur wie hohle Phrasen. „Das Leben muss weitergehen“, ja, ja. „Wir müssen nach vorne schauen“, ja, ja. Wenn die Menschen in der Laurentiuskirche nach vorne schauen, blicken sie in den Chorraum. Mit dem Ende der Fastenzeit fällt auch das Fastentuch, das den Bereich hinter dem Altar wie mit einem Schleier verhüllt hat.

Jetzt ist der Blick wieder frei und klar. Er ist nach Osten gerichtet, dorthin, wo die Sonne aufgeht, wo das Licht herkommt, wo der neue Tag anbricht. Von alters her ist das ein Symbol für die Auferstehung. Man kann die Ausrichtung des Kirchengebäudes allein so verstehen.

Man kann aber auch sagen: Wir kennen eine Zukunft der Hoffnung. Der Terror kennt sie nicht. Er wird verlieren.

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