Verborgene Orte in Burscheid Als unter der A 1 Ferkel gegrillt wurden

In der Talbrücke Lambertsmühle befindet sich ein Hohlraum, an dem sich schon viele bizarre Geschichten abgespielt haben.

Verborgene Orte in Burscheid: Als unter der A 1 Ferkel gegrillt wurden
Foto: Doro Siewert

Burscheid. Es ist nichts zu hören. Kein Wummern, kein Dröhnen, kein Rauschen. Einfach nichts. Kein Pfad führt zu dem verborgenen Ort, dort, wo man doch so viel mehr Lärm vermutet. Ein Fahrzeug hatte sich den Weg dorthin gebannt. Die Reifen haben sich in die feuchte Erde des Waldes gedrückt. Der Frost hat die Spuren festgehalten, in Eis konserviert. Diesen beschwerlichen Weg schreiten Klaus Albrecht und Ulrich Hainbuch entlang. Die gefrorenen Spurrillen geben unter ihren schweren Arbeitsschuhen nach. Es ist ein schöner Fußmarsch durch den winterlichen Wald. Am Ziel angekommen fallen die Köpfe in den Nacken. Der Blick geht nach oben, hoch hinaus, wo es laut, schnell und gefährlich ist.

Vor den Männern ragt die Autobahnbrücke Lambertsmühle empor. Über 154 Meter weiter oben rasen Autos über die A1. Autobahnbrücken gehören zu den Bauwerken, die die Menschen erst wahrnehmen, wenn sie nicht mehr passierbar sind. Klaus Albrecht und Ulrich Hainbuch wissen das. Sie arbeiten beide für die Landesbehörde Straßen.NRW. Klaus Albrecht ist der Herr der Pläne, als Bauwerksprüfer kennt er sich mit Statik aus. Mit allem, was mit Zahlen zu tun hat. Ulrich Hainbuch ist praktisch veranlagt. Für die Autobahnmeisterei ist er jeden Tag auf der Straße. Er hält Ausschau nach ungewöhnlichen Dingen. Damit er etwas die Eigenschaft ungewöhnlich zuschreibt, muss aber schon viel geschehen. Ulrich Hainbuch hat auf der Straße schon alles gesehen. Einiges davon verbindet ihn mit dem verborgenen Ort, dem Raum im Brückenpfeiler.

Die Autobahnbrücke ist, wenn man so will, zweigeteilt. Der ältere und massive Bau stammt aus den 1930er Jahren. Ein beeindruckender Anblick, diese Bogenbrücke. Daneben ist die eher zweckmäßige, neue Brücke. Aufeinander gestellte Bauklötze mit Graffiti besprüht, ein architektonischer Kontrast. Anders als bei der älteren Brücke sind die Pfeiler innen hohl. „Das ist materialsparend. Aber ein Strohhalm ist auch stabil, obwohl er innen hohl ist“, sagt der Bauwerksprüfer.

Als Klaus Albrecht die Metalltür aufschließt, strömt klamme Luft heraus. Es ist dunkel. Überall Spinnweben. Eine Metallleiter ragt fünf Meter hinauf, dann folgt eine Plattform, dann wieder eine Leiter. So geht es bis nach ganz oben, unmittelbar unter die Fahrbahn der A1. Als Ulrich Hainbuch das letzte Mal eine Leiter wie diese hinaufstieg, es muss in Wuppertal gewesen sein, da traute er seinen Augen kaum. Der Streckenmeister lacht, als er darüber nachdenkt. „Jemand hatte dort oben eine Bar eingerichtet. Da stand ein Einkaufswagen und ein Bierkasten“, erzählt Ulrich Hainbuch. Der kahle Raum in der Talbrücke an der Lambertsmühle hat dagegen andere Geschichten zu bieten. Zumindest vor der Tür. Mit einem Knarren fällt sie ins Schloss, bevor Hainbuch sie wieder zuschließt.

Hier darf niemand rein, was aber nicht bedeutet, dass sich unter der Brücke nie jemand herumtreiben würde. Vor der Tür liegt eine zerbrochene Porzellanvase. Wie bei einer archäologischen Ausgrabung ragen die Scherben des antiken Schatzes aus dem sandigen Boden heraus.

Schon vieles hat hier sein Ende gefunden. Sechs Ferkel zum Beispiel, die eine Gruppe Männer unter der Brücke am Spieß gebraten haben. Sie wollten die Hochzeit der Tochter feiern, lautete die Begründung. „Vor 20 Jahren hatte jemand mal ein Auto geklaut, das hier gegen den Pfeiler gefahren und dann angezündet. Einfach so“, erzählt der Streckenmeister. Er deutet auf eine graue Fläche an der Wand, die die Spuren des Brandes kaschiert. „Nach 36 Jahren im Dienst hat man einiges erlebt.“ Er schüttelt den Kopf. Der Streckenmeister wird immer wieder gefordert, an seine Grenzen zu gehen. Nicht jeder hält das aus.

Sein persönlicher Tiefpunkt ereignete sich im August 2013. Ulrich Hainbuch sicherte bei Dürscheid eine Unfallstelle ab. Einem Autofahrer passte das gar nicht. Er randalierte, beschimpfte Hainbuch wüst. Der Streckenmeister hat zwar ein dickes Fell, unverwundbar ist er aber nicht. „Der Mann hat mich vor Wut auf die Motorhaube genommen. Ich habe mich am Schiebedach festgehalten. So hatte er mich ein Stück mitgerissen“, erzählt Ulrich Hainbuch. Eine traumatische Erfahrung, die andere Menschen in die Knie gezwungen hätte. Nicht aber Ulrich Hainbuch. Er macht weiter. Er passt auf, das Brückenhohlräume verborgene Orte bleiben.

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