Wirtschaft Was der Milchpreis mit den Müllers macht

Der Rheinische Landwirtschafts- Verband sieht viele bäuerliche Milch-Erzeuger vor dem Aus, wenn die Preise nicht endlich wieder steigen.

Wirtschaft: Was der Milchpreis mit den Müllers macht
Foto: tüc

Engelskirchen. Es ist eine einfache Rechnung: Bernd Müller hat 180 Kühe. 160 davon geben zurzeit Milch, rund 4000 Liter am Tag. Bei der Genossenschaft erhält Müller dafür aktuell 24,75 Cent. Er bräuchte 30 Cent, um kostendeckend zu arbeiten. Das macht jeden Tag einen Verlust von 210 Euro. „Wenn der Junge nicht wäre . . . “, sagt der 49-Jährige und muss den Satz gar nicht vollenden um deutlich zu machen, dass er sich das noch vor zehn Jahren ganz anders vorgestellt hat. Vielleicht hätten die Müllers den neuen Stall dann nicht gebaut.

Der Junge, Phillipp, ist das mittlere der drei Kinder der Müllers. Der 24-Jährige würde den elterlichen Betrieb gern weiterführen. Ist das ein guter Plan? „Man hofft natürlich, dass es besser wird“, sagt er, „aber große Pläne muss man jetzt erst einmal ganz unten in der Schublade lassen.“ Der Hof der Müllers liegt in Engelskirchen, dort, wo es im Oberbergischen richtig schön ist. Die Wiesen sind nass und satt, die Baumwipfel teilen Wolken und Nebelfetzen, leichter Nieselregen geht in den Tälern nieder. Kein Wunder, dass die Region zunehmend Touristen anlockt. Selbst an grauen Tagen sieht es hier nach Urlaub aus.

280 Betriebe gibt es in der Region noch, die Milcherzeugung im Vollerwerb betreiben. Dazu kommen ein paar Hundert Nebenerwerbslandwirte. Im Oberbergischen ist es deshalb so schön, weil diese Betriebe seit Jahrzehnten die Landschaft prägen. Die bäuerliche Landwirtschaft im oberbergischen Land hat einen Strukturwandel hinter sich gebracht, der nicht mehr umkehrbar ist.

Es regnet halt viel, deshalb gibt es nur noch acht Prozent Ackerbau, die meisten — von denen, die es überhaupt noch gibt — haben auf Grünland umgesattelt. So ist das auch bei den Müllers. Von 160 Hektar nutzen sie 122 für den Futteranbau; meistens Mais. Dazu haben sie noch ein bisschen Wald, doch mit dem Holz müssen sie längst die Milchwirtschaft finanzieren.

Warum das so ist, können sie jeden Tag entlang der Bundesstraße 55 sehen, die sich von Köln kommend parallel zur A4 durch die Region schlängelt. Dort haben sich die großen Discounter und Supermärkte niedergelassen. Lidl, Rewe und Aldi-Süd gibt es dort. Der Liter Vollmilch (3,5% Fett) kostet bei ihnen aktuell nur noch 46 Cent. In allen Märkten ist ein Liter Cola teurer.

Die Gründe für die Dumping-Preise hat Aldi-Süd seinen Kunden Anfang Mai in einer Pressemitteilung erklärt: „Hintergrund ist das aktuelle Überangebot auf dem weltweiten Milchmarkt“, hieß es darin. Und dass man „als nur einer unter vielen Akteuren auf dem Milchmarkt“ nicht in der Position sei, eine Besserung der Auszahlungspreise an die Landwirte herbeizuführen. Das habe auch die einmalige Erhöhung der Preise entgegen des herrschenden Marktpreises vom Oktober 2015 gezeigt.

Damals hatte Aldi-Süd den Preis vorübergehend von 55 auf 59 Cent angehoben — wie auch andere Discounter nach massiven Protesten der Landwirte. Umso extremer fiel nun die Preissenkung aus. Die neuerliche Preisschlacht führte Anfang Mai die Discount-Kette „Norma“ an, viele andere zogen nach. Dass es zu solchen regelrechten Preisstürzen kommen würde, zeichnete sich bereits im April bei den Verhandlungen zwischen Molkereien und Handel ab.

Seit vor gut einem Jahr die Milchquoten in der EU abgeschafft wurden, kämpfen die Milcherzeuger mit sinkenden Preisen. Dabei hatten die Landwirtschafts-Verbände auf das Gegenteil gehofft. Doch der Markt richtete es nicht, im Gegenteil. Seit nunmehr 18 Monaten geht es bergab. Für die Milcherzeuger in NRW liegen die Preise ab Hof derzeit nur noch zwischen 22 und 25 Cent; es gibt Betriebe, denen es noch viel schlechter geht als den Müllers.

Auch der Rheinische Landwirtschaftsverband (RLV) räumt ein, dass es nicht allein „die gnadenlosen Preissenkungen für Trinkmilch“ des Handels sind, die die Misere verursachen. Das russische Embargo für EU-Lebensmittel trägt ebenso dazu bei wie die stockende Importnachfrage aus China. „Die wirtschaftliche Situation vieler Betriebe ist bis aufs Äußerste gespannt“, sagt RLV-Präsident Bernhard Conzen.

Er fürchtet: Ändert sich jetzt nicht schnell etwas, dann sind rund ein Drittel der Betriebe in ihrer Existenz bedroht. Ihnen gehe schlicht das Geld aus. Der Milchsektor müsse endlich seine Verhandlungsmacht gegenüber dem Handel stärken, so Conzen, der in diesem Zusammenhang die Entscheidung von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel kritisiert, die Edeka-Tengelmann-Fusion zuzulassen: „Jetzt werden 90 Prozent des Handels von vier Ketten beherrscht. Für mich ist unverständlich, wie man so mit Existenzen spielen kann.“

In keinem der Supermärkte entlang der Bundesstraße 55 kann man Milch kaufen, die erkennbar aus dem Oberbergischen kommt. „Der Handel hat ,weiße Linien’ etabliert. Wir sind alle austauschbar“, sagt Helmut Dresbach, Vorsitzender der Kreisbauernschaft im Oberbergischen Kreis. Das war einmal anders, als zum Beispiel „Tuffi“ noch eine bergische Marke war. Doch mit dem Verschwinden der „Milchversorgung Rheinland“, der „Milchwerke Köln-Wuppertal“ und dem Aus für die eigene Molkerei Ende der 90er Jahre verschwand die regionale Bindung.

Trotzdem: Ob bergische Milch oder süddeutsche — dass 46 Cent weder die ökonomische noch die ökologische Wahrheit über einen Liter Milch sein können, müsste eigentlich jedem Verbraucher klar sein, oder? „Vor der Kasse wird entschieden. Und da tut der Verbraucher etwas anderes, als er hinter der Kasse sagt, wenn man ihn anspricht“, sagt Helmut Dresbach. Haben die Müllers etwas falsch gemacht? Hätten Sie das alles nicht kommen sehen müssen?

Phillipps Großeltern hatten den Betrieb noch im Dorf. Der Stall stand direkt neben dem Milchladen. „Wo der Stall stand, ist heute der Kindergarten“, sagt Bernd Müller. Mit 16 Kühen hatte der Betrieb am Ende der 60er Jahre keine Zukunft. Also wurde er 1972 verlagert, ein Stück die oberbergischen Hügel hinauf. Der Stall wurde neu gebaut, Milchquote gekauft. Das war nie ein Geschäft, mit dem man reich werden konnte, aber es hatte eine Perspektive.

Mit den Jahren stiegen die Anforderungen, die Kosten und die Investitionen, aber nicht die Erträge. Andere haben längst aufgegeben. „Es gibt so Tage“, sagt Bernd Müller und spricht den Satz wieder nicht zu Ende. Der älteste Sohn ist Landmaschinenmechaniker. Phillipp, der Mittlere, will weitermachen. Nun hat es sich aber auch die Jüngste, Laura, trotz der unsicheren Zukunftsaussichten noch einmal überlegt. Bernd Müller zuckt mit den Schultern: „Soll ich ihr das verbieten?“

Ihren Job in einer Zahnarztpraxis gibt die 21-Jährige auf. Am 1. August beginnt sie ihre Landwirtschaftslehre. Dank der Krise kann sie sogar ihre beiden Pferde auf dem elterlichen Hof behalten. „Ja, leider“, knurrt Phillipp, der den kleinen Stall lieber abreißen würde, um mehr Platz für die Kühe zu schaffen. Doch dazu fehlt derzeit schlicht das Geld.

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