Arbeitsmarkt Viele Arbeitgeber tricksen beim Mindestlohn

Rund 1,8 Millionen Beschäftigte verdienen laut einer aktuellen Untersuchung weniger als den gesetzlichen Mindestlohn. Das Thema könnte auch für die künftige Regierungsbildung wichtig werden.

 Nicht immer halten sich die Arbeitgeber an die gesetzlichen Vorgaben zum Mindestlohn (Symbolbild).

Nicht immer halten sich die Arbeitgeber an die gesetzlichen Vorgaben zum Mindestlohn (Symbolbild).

Foto: dpa

Der gesetzliche Mindestlohn gilt in Deutschland zwar schon seit Anfang 2015. Nach einer Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) bekamen im vergangenen Jahr aber immer noch 1,8 Millionen Beschäftigte widerrechtlich eine geringere Vergütung. Das Thema könnte auch für die künftige Regierungsbildung wichtig werden.

Die positive Wirkung des Mindestlohns für Niedrigverdiener ist unbestritten: Mit seiner Einführung haben sich die Bezüge für das untere Zehntel der Lohnempfänger um etwa 15 Prozent erhöht. Laut DIW verdienten aber im ersten Halbjahr 2016, also gut ein Jahr nach Inkrafttreten des Mindestlohns in Höhe von damals 8,50 Euro, immer noch 1,8 Millionen Beschäftigte weniger, als ihnen gesetzlich zustand. Das heißt, sie waren weder von tariflichen Ausnahmen betroffen, die damals noch galten, noch handelte es sich um Langzeitarbeitslose oder Minderjährige, für die es bis heute abweichende Regelungen gibt. Im Jahr 2015 wurde der Mindestlohn laut DIW sogar noch 2,1 Millionen anspruchsberechtigten Menschen vorenthalten.

Die Daten der Wirtschaftsforscher basieren auf einer Befragung der Beschäftigten und weichen von Angaben der Betriebe ab, die die unabhängige Mindestlohnkommission verwendet. Statt 2,1 Millionen hat die Kommission für 2015 nur 1,4 Millionen Betroffene ausgewiesen. Alexandra Fedorets, Mitautorin der DIW-Studie, räumte ein, dass es bei Befragungen auch zu Messungenauigkeiten komme. Doch ändere dies nichts an daran, dass viele Arbeitnehmer „immer noch nicht gesetzeskonform“ vergütet würden.

Ein Einfallstor dafür ist offenkundig die Ausgestaltung der Arbeitsverträge. Darin sind zumeist Monatslöhne und keine Stundenlöhne vereinbart. Es gebe eine Diskrepanz „zwischen den vertraglichen und den tatsächlichen Arbeitszeiten der Beschäftigten“, erläuterte Fedorets. Vor allem die nicht vergütete zusätzliche Arbeitszeit ermögliche es Arbeitgebern, weniger als den Mindestlohn pro Stunde zu zahlen.

Nach Einschätzung von SPD-Fraktionsvize Katja Mast belegt die Studie die Notwendigkeit umfassender Kontrollen und einer täglichen Dokumentation der Arbeitszeiten. „In den Jamaika-Verhandlungen wollte vor allem die FDP mit prominenter Unterstützung aus der Union die Zügel bei der Einhaltung des Mindestlohns lockern. So etwas wird es mit der SPD auf keinen Fall geben“, sagte Mast unserer Redaktion. Trickserien bei einem ohnehin schon minimalen Lohn schadeten nicht nur Arbeitnehmern sondern auch den vielen ehrlichen Arbeitgebern, die ihre Leute anständig bezahlten, meinte die SPD-Politikerin.

Der CDU-Sozialexperte Peter Weiß verwies indes auf ganz praktische Probleme. Auch die beste Dokumentation nütze wenig, wenn dabei gelogen werde. „Wenn zum Beispiel ein Gebäudereiniger zur Reinigung eines bestimmten Objekts angeblich nur vier Stunden benötigt, aber dieses Objekt von seiner Größe her nach aller Erfahrung mindestens den doppelten Stundeaufwand erfordert, dann muss das stutzig machen“. Die Arbeitszeiterfassung bedeute also nicht automatisch ein Ende allen Missbrauchs, so Weiß. „In möglichen Koalitionsverhandlungen werden sicherlich die Themen Dokumentation und Kontrolle beim Mindestlohn noch einmal Gegenstand der Gespräche sein“, so der CDU-Politiker.

Die für die Einhaltung des Mindestlohns zuständige „Finanzkontrolle Schwarzarbeit“ (FKS) hatte für das erste Halbjahr rund 42 Prozent mehr Fälle von Lohndumping aufgedeckt als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Etwa im gleichen Umfang nahmen auch die Kontrollen zu. Bei Verstößen müssen Arbeitgeber empfindliche Bußgelder zahlen: Im ersten Halbjahr 2016 waren es zusammen knapp 11,4 Millionen Euro, im gleichen Zeitraum dieses Jahres bereits 18,9 Millionen Euro.

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