Streit um Video-Sprechstunde

Mit dem Arzt online sprechen — das könnte für gesetzlich Versicherte eine Utopie bleiben.

Streit um Video-Sprechstunde
Foto: Monika Werner-Staude

Düsseldorf. „Das ist eine sehr schöne Sache - orts- und zeitunabhängig“, schwärmt Dr. Christoph Baumbach. Der Hals-Nasen-Ohren-(HNO)Arzt in Düsseldorf-Eller steht voll und ganz zur Online-Videosprechstunde. Während er für seine Patienten, die er in vier Sprechzimmern betreue, in der Regel nur vier Minuten Zeit habe, dauere ein Videochat dagegen 15 bis 20 Minuten, und das vor allem außerhalb der eigentlichen Sprechzeiten und auch wenn er unterwegs sei. Außerdem, so Baumbach, könne der Patient Befunde hochladen, die man gemeinsam anschauen und besprechen könne. Mit Patienten, die wegen Schwindelgefühlen in der Praxis gewesen seien und denen er schon ins Ohr geschaut habe, könne er das weitere Vorgehen, oder mit Allergiegeplagten die Therapie besprechen.

Wer bei Baumbach online beraten werden will, hat ihm das nach einer Erstkonsultation in der Praxis schriftlich erlaubt — hier wurde er auch auf das Angebot aufmerksam gemacht. Dann wird telefonisch, mündlich oder per E-Mail ein Termin vereinbart. Außerdem erhält der Patient eine Internetadresse und einen Einwahlcode — gestellt vom Videodienstanbieter. Möglichst zehn Minuten vor dem Gespräch wählen sich beide ein — steht die Technik, kann es losgehen. Ist das Gespräch beendet, melden sich Arzt und Patient wieder ab.

Im September 2015 startete die Techniker Krankenkasse (TK) gemeinsam mit dem Bundesverband Deutscher Dermatologen (BVDD) die Online-Videosprechstunde in einem Projekt in Nordrhein-Westfalen an, im Herbst 2016 folgte ein weiteres mit HNO-Ärzten. 25 Haut- und 18 HNO-Ärzte beteiligten sich an den Projekten. Beide enden vorzeitig Ende Juni, nachdem sich Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) auf eine Vergütung geeinigt haben, die die Online-Sprechstunde zur kassenärztlichen Regelversorgung machen soll. Zwar nutzten in der kurzen Zeit nur drei Patienten den Service bei Baumbach, was ihn aber nicht weiter erstaunt: „Neue Dienste brauchen ihre Zeit, bis sie angenommen werden. Wir sind noch in der Kennenlern- und Akquisitionsphase“, ist er zuversichtlich.

Weniger optimistisch ist der 49-Jährige, was die Finanzierung des neuen Dienstes angeht. Während der Projektphase erhielt er von der TK in etwa 25 Euro pro Patient pro Quartal für ein 15-minütiges Gespräch. Nach der Einigung von KBV und GKV werden ab 1. Juli nur maximal 200 Euro pro Quartal erstattet. Gedacht für die aufwändige Technik, die er bereitstellen und unterhalten muss. Die eigentliche Sprechstunde aber falle unter die Grundpauschale, werde also nicht eigens vergütet. Begründung: Der Videochat ersetze nur den Arzt-Patienten-Kontakt, der bereits bezahlt sei. „Das ist wie eine Flatrate. Das kostet uns mehr, als es bringt“, sagt Baumbach und wagt eine Prognose: Das sei die Totgeburt für die Kassensprechstunde. Er werde den Service aber weiter anbieten — als private Leistung.

Aufgebracht ist auch Dr. Klaus Strömer. Der Mönchengladbacher Hautarzt und Präsident des BVDD gehört zu den Pionieren der Online-Sprechstunde, arbeitete an einem Positionspapier zur Telemedizin in der Dermatologie mit, nahm an Pilot- und Modellversuchen teil und arbeitet aktuell an einem Telemedizinleitfaden. „Ärzte erhalten keinen Cent für die Videosprechstunde“, beschwert er sich und deutet die Vereinbarung als „Bankrotterklärung der Selbstverwaltung“. Niemand könne ernstlich von den Ärzten erwarten, den Aufwand — von der Aufklärung der Patienten über die Schulung der Mitarbeiter bis hin zur Technikanschaffung — unentgeltlich zu stemmen.

Die so Gescholtenen weisen darauf hin, dass die Videosprechstunde nur bei ganz bestimmen Fällen — mehrheitlich bei Kontroll- und Verlaufsuntersuchungen — möglich sei, und hoffen, „auch die Dermatologen von dem getroffenen Vergütungsmodell zu überzeugen“, so GKV-Spitzenverbands-Pressesprecher Florian Lanz auf Anfrage. Für die KBV erklärt Pressesprecher Roland Stahl, die Vereinbarung sei „ein erster Schritt“. Und er verspricht, das Thema „dahingehend zu beobachten, ob wir nachbessern müssen“.

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