Nach Boomjahr raue Zeiten für deutsche Wirtschaft

Wiesbaden (dpa) - Die Eurokrise und der weltweite Abschwung würgen den deutschen Wirtschaftsboom ab. Nach zwei außerordentlich starken Jahren stehen jetzt rauere Zeiten bevor.

Zum Jahresende 2011 gab es den ersten deutlichen Dämpfer - die Wirtschaft schrumpfte im vierten Quartal. Ökonomen sehen vor allem die schwelende Euro-Schuldenkrise als Risiko für die Exportnation Deutschland. Die Sorge, dass Europas größte Volkswirtschaft wie 2009 in die Rezession stürzen könnte, teilen jedoch bei weitem nicht alle Experten.

Auch das Statistische Bundesamt in Wiesbaden äußerte sich am Mittwoch vorsichtig optimistisch für das Jahr 2012: Zwar werde der Start wohl etwas schwächer, es sei aber mit einer „gewissen Robustheit der konjunkturellen Entwicklung“ in Deutschland zu rechnen.

Im vergangenen Jahr trotzte die deutsche Wirtschaft mit einem der besten Jahresergebnisse seit der Wiedervereinigung der Krise im Euroraum. 3,0 Prozent Plus beim realen Bruttoinlandsprodukt (BIP) errechnete das Statistische Bundesamt anhand vorläufiger Daten. Haupttreibstoff waren die Konsumfreude der Verbraucher und kräftige Investitionen.

„Die konjunkturelle Erholung hat sich auch im zweiten Jahr nach der Wirtschaftskrise fortgesetzt“, bilanzierte der Präsident des Bundesamtes, Roderich Egeler. In der Folge verbesserte sich auch die Kassenlage des Staates deutlich. Nach der tiefsten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg mit minus 5,1 Prozent im Jahr 2009 hatte die deutsche Wirtschaft im Jahr 2010 um 3,7 Prozent zugelegt.

Für das laufende Jahr rechnen Volkswirte im Schnitt allenfalls mit einem Plus von 0,5 Prozent. „Im Jahr 2012 wird die Konjunktur von der Krise im Euroraum überschattet“, erklärte Simon Junker, Konjunkturexperte des Deutsches Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW/Berlin). „Sowohl die Exporte als auch die Inlandsnachfrage werden vorübergehend einen Dämpfer erhalten.“

Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer erwartet für Deutschland 2012 gar nur eine Stagnation. Die Europäische Zentralbank (EZB) habe zwar mit weit geöffneten Geldschleusen die Lage entspannt, lösen könne sie die Staatsschuldenkrise aber nicht. Die Deutsche Bank hält eine Rezession in Deutschland für wahrscheinlich: Die Unsicherheit über die Entwicklung der Schuldenkrise und die zunehmende fiskalische Konsolidierung in der Eurozone belasteten die deutsche Konjunktur.

Genährt wird solcher Pessimismus von Daten für das vierte Quartal 2011, das in die Jahreszahlen des Bundesamtes bislang nur als Schätzung eingeflossen ist. Demnach schrumpfte das BIP preis-, saison- und kalenderbereinigt in den letzten drei Monaten des vergangenen Jahres zum Vorquartal leicht, „schätzungsweise um 0,25 Prozent“.

Den Absturz in eine Rezession - technisch gesehen mindestens zwei Quartale mit schrumpfender Wirtschaftsleistung - erwarten viele Volkswirte dennoch nicht. Andreas Rees (UniCredit) und Rolf Schneider (Allianz) weisen darauf hin, dass die jüngsten Unternehmensumfragen eher positive Signale brachten und der Arbeitsmarkt sich zuletzt stabil zeigte. „Der schwächere Euro-Kurs wird ein zusätzlicher Puffer für exportorientierte Unternehmen sein“, erklärte Rees. Das Bundeswirtschaftsministerium verwies auf die nach wie vor robuste Binnenwirtschaft.

2011 zehrte Deutschland vor allem von einem starken ersten Halbjahr. Der Außenhandel zeigte sich dynamisch, der Außenbeitrag trug 0,8 (Vorjahr: 1,5) Prozentpunkte zum BIP-Wachstum bei. Wachstumsmotor war die Binnennachfrage. Die privaten Konsumausgaben legten so stark zu wie zuletzt vor fünf Jahren: preisbereinigt um 1,5 (0,6) Prozent. Staat und Unternehmen investierten in Maschinen, Geräte und Fahrzeuge deutliche 8,3 Prozent mehr als im Vorjahr.

Die Wirtschaftsleistung wurde im Jahresdurchschnitt von der Rekordzahl von 41,1 Millionen Erwerbstätigen erbracht. Die Zahl der Erwerbslosen ging geschätzt um 446 000 auf 2,5 Millionen zurück. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Martin Wansleben, erwartet auch in diesem Jahr ein ordentliches Beschäftigungsplus von rund 250 000, wie er der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ sagte.

Dank der guten Konjunktur verbesserte sich die Kassenlage Deutschlands 2011 deutlich. Das Staatsdefizit belief sich auf 1,0 Prozent des BIP. Damit hielt Deutschland erstmals seit 2008 wieder die Obergrenze des EU-Stabilitätspaktes ein. Die europäischen Regeln erlauben höchstens 3,0 Prozent Defizit. In den Jahren 2009 (3,2 Prozent) und 2010 (4,3 Prozent) hatte Deutschland dagegen verstoßen.

Unter dem Strich stand 2011 ein Fehlbetrag von 26,7 Milliarden Euro. Im Vorjahr belief sich der Finanzierungssaldo von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherung auf minus 105,86 Milliarden Euro.

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