Job-Boom geht weiter - aber nun fehlen Fachkräfte

Nürnberg (dpa) - Die Arbeitslosenzahlen sinken, und das scheint auch so zu bleiben. Neben der Politik sehen nun auch Volkswirtschaftler Deutschland auf dem Weg zur Vollbeschäftigung. Das allerdings dürfte den Mangel an Spezialisten verschärfen.

Volkswirtschaftler sehen schon eine glänzende Dekade voraus: Auf 2 Millionen könnte die Arbeitslosigkeit bis zum Ende des Jahrzehnts nach Ansicht der Commerzbank sinken. Im Juni war die Zahl der Erwerbslosen um 67 000 auf 2,893 Millionen zurückgegangen, die Quote nahm um 0,1 Punkte auf 6,9 Prozent ab. Damit tritt die Sorge vor einem Fachkräftemangel wieder stärker in den Blickpunkt.

Die anhaltend gute Entwicklung verstärke das Problem fehlender Spezialisten, sagte Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt am Donnerstag in Berlin. Auch Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) zeigte sich besorgt. Der Bedarf an qualifizierten und hoch qualifizierten Fachkräften sei in einigen Branchen so hoch, „dass er den Jobmotor dahinter zu bremsen droht“. Dies sei aber noch kein Flächenphänomen.

Auf diese Feststellung legte auch der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit (BA), Frank-Jürgen Weise, großen Wert: „Wir kommen zu der Beurteilung, dass es noch keinen flächendeckenden, branchenübergreifenden Fachkräftemangel gibt. Aber es zeigen sich Mangelsituationen in bestimmten Berufsgruppen und bestimmten Regionen.“ Dazu gehörten Ingenieure und andere Spezialisten in der Elektrobranche, Maschinen- und Fahrzeugbauingenieure sowie Fachkräfte aus dem Gesundheitsbereich - also Ärzte und Pfleger.

Die Entwicklung könnte sich verschärfen, denn ein Ende des Job-Booms ist trotz der aktuellen Abschwächung nicht in Sicht. „Wir gehen auf Basis der jetzigen Situation davon aus, dass wir absehbar - unter Beachtung aller Risiken, die es gibt - nicht mehr über drei Millionen Arbeitslose kommen“, sagte Weise in Nürnberg. Erst mit der traditionellen Winterarbeitslosigkeit im Januar werde die Drei-Millionen-Grenze höchstwahrscheinlich wieder überschritten.

Im Juni waren 255 000 Menschen weniger auf Jobsuche als ein Jahr zuvor; damals lag die Arbeitslosenquote noch bei 7,5 Prozent. Dank des robusten Konjunkturaufschwungs haben seitdem 488 000 Männer und Frauen eine Arbeit aufgenommen. 40,88 Millionen Menschen sind nach den jüngsten Daten vom Mai inzwischen erwerbstätig; wegen der Frühjahrsbelebung sind dies 163 000 mehr als noch im April. Auch die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nahm binnen Jahresfrist um 680 000 auf 28,23 Millionen zu (Aprilzahlen). Rund 60 Prozent davon waren Vollzeitjobs.

Die um jahreszeitliche Faktoren bereinigte Arbeitslosenzahl sank im Juni um 8000 auf 2,967 Millionen. Die saisonbereinigte Erwerbstätigkeit stieg nach den jüngsten Daten vom Mai um 34 000, die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung legte zuletzt um 47 000 zu. Entsprechend hoch ist die Nachfrage nach Arbeitskräften: Die Zahl der offenen Stellen lag im Juni mit 480 000 um 109 000 über dem Vorjahreswert.

Der Commerzbank zufolge ist Deutschland damit auf dem Weg zur Vollbeschäftigung. Ende des Jahrzehnts könnte es nur noch zwei Millionen Jobsuchende geben, hieß es in einer Studie. Gründe seien der Strukturwandel mit einer Flexibilisierung der Arbeitswelt, eine zurückhaltende Lohnpolitik sowie die Alterung der Gesellschaft.

Davon profitieren auch die Schulabgänger - sie werden in den Betrieben begehrter. Bisher meldeten die Unternehmen 444 100 Ausbildungsplätze, 39 900 mehr als vor einem Jahr. Die Zahl der registrierten Bewerber sank gleichzeitig um 8600 auf 473 300. Damit sind aktuell 168 500 Plätze noch zu vergeben; die Zahl der nicht versorgten Bewerber liegt bei 183 200.

Auch die Bundesagentur selbst profitiert von dem Job-Boom: Ihr Defizit wird in diesem Jahr niedriger ausfallen als geplant. Aktuell liegen die Einnahmen 360 Millionen Euro über den Erwartungen, zugleich fielen die Ausgaben bislang um 1,5 Milliarden Euro niedriger aus als vorgesehen. Das endgültige Minus wird erst im Herbst annähernd feststehen, doch schon jetzt ist laut Weise klar: „Das Defizit wird geringer werden als das, das wir mal geplant hatten mit 5,4 Milliarden Euro.“

Dazu trägt auch der Sparkurs bei den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen bei. Im Vergleich zum Vorjahresmonat erhielten in diesem Juni 20 Prozent weniger Arbeitslose eine entsprechende Förderung. Gerade mit Blick auf die Langzeitarbeitslosen kritisierte der Deutsche Gewerkschaftsbund: „Am Aufschwung nehmen nicht alle gleich teil.“ Dennoch sank noch ein weiterer wichtiger Indikator: die Unterbeschäftigung. Die Summe aller Menschen, die in Deutschland gerne oder mehr arbeiten würden, ging um knapp 100 000 auf rund 4 Millionen zurück.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort