Gabriels riskanter Schwenk an der Euro-Rettungsfront

Der SPD-Chef plädiert für eine gemeinsame Haftung. Kann er sich in der Partei durchsetzen?

Berlin. SPD-Chef Sigmar Gabriel löste Empörung aus. Sein Plädoyer für eine gemeinschaftliche Euro-Schuldenhaftung stieß Montag auf scharfe Ablehnung bei der Koalition. Vertreter von Union und FDP warfen ihm vor, er strebe eine Schuldenunion zulasten Deutschlands an.

Was war passiert? Gabriel hatte für eine offene gemeinschaftliche Haftung für die Schulden aller Euro-Staaten bei gleichzeitiger strenger gemeinsamer Haushaltskontrolle geworben. Er machte sich damit einen Vorschlag der Professoren Jürgen Habermas, Peter Bofinger und Julian Nida-Rümelin zu eigen, den diese für die Wahlprogrammdiskussion der SPD formuliert hatten. Demnach soll ein Verfassungskonvent eine Grundgesetzänderung erarbeiten, über die per Volksabstimmung abgestimmt werden solle.

Gabriel wies allerdings Darstellungen über einen angeblichen Kurswechsel der Sozialdemokraten als „schlichten Unfug“ zurück. Er selbst und Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier hätten schon seit Monaten immer wieder eine gemeinsame Steuer- und Wirtschaftspolitik in Europa angemahnt, sagte Gabriel in Berlin. Eine solche Abgabe von nationalen Souveränitätsrechten an das europäische Parlament oder eine europäische Regierung sei unverzichtbare Voraussetzung dafür, dass Schulden auch vergemeinschaftet werden könnten.

Die Koalition bedankte sich jedenfalls überschwänglich für die Vorlage in der Sommerpause. „Gemeingefährlich“ oder „nicht mehr ernst zu nehmen“ lauteten Urteile aus Union und FDP.

Der SPD-Chef sieht den bisherigen Europa-Kurs der eigenen Partei schon seit einiger Zeit zunehmend kritisch. Im kleinen Kreis ließ er öfter durchblicken, man könne nicht vor jeder neuen Rettungsaktion Kanzlerin Angela Merkel (CDU) massive Fehler vorhalten, doch dann immer wieder im Bundestag die Hand dafür heben. Bislang konnte sich Steinmeier durchsetzen, aus „übergeordneten Gründen“ Merkel die Gefolgschaft nicht aufzukündigen. Einen offenen Konflikt hat Gabriel bislang vermieden, weil dies auch die Rivalität um die Kanzlerkandidatur angeheizt hätte.

Bislang konnte sich Steinmeier mit seiner Position auf eine klare Mehrheit bei den SPD-Abgeordneten verlassen. Zuletzt mahnte der frühere Vorsitzende Franz Müntefering eindringlich, die SPD müsse zuallererst für deutsche Interessen kämpfen. Gabriel soll verärgert auf diesen Beitrag reagiert haben.

Doch inzwischen schwindet in der SPD spürbar die Bereitschaft, Merkel noch einmal aus der Patsche zu helfen. Wenn sich die Kanzlerin schon ihrer eigenen Leute nicht mehr sicher sei, solle sie beim nächsten Mal doch die Vertrauensfrage stellen, ist von einer wachsenden Zahl von SPD-Parlamentariern zu hören.

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