Flucht vor dem Grundsatzurteil

Wenn Banken oder Versicherer vor dem Bundesgerichtshof zu scheitern drohen, ziehen sie schnell die Revision zurück. Ein neues Gesetz verhindert das.

Düsseldorf. Die Prozessniederlage droht — da ziehen wir lieber die Revision zurück. Dann müssen wir uns zwar in diesem Einzelfall geschlagen geben, aber es gibt wenigstens kein Grundsatzurteil.

Mit dieser Marschroute kamen Versicherungen, Banken oder auch Stromanbieter bisher günstig davon. Doch ein neues Gesetz macht ihnen diese Taktik nun kaputt — und das nutzt dem Verbraucher.

Aus der Verhandlungsführung der Richter, aus Fragestellungen oder Andeutungen können Rechtsanwälte leicht erkennen, in welche Richtung ein Gericht bei seiner bevorstehenden Entscheidung tendiert.

Daher streichen sie zuweilen vor einem entsprechenden Urteil des höchsten Zivilgerichts, dem Bundesgerichtshof (BGH), die Segel. Sie akzeptieren in dem Einzelfall zwar eine Prozessniederlage, denn in der gerichtlichen Vorinstanz (Landgericht oder Oberlandesgericht) hatten sie ja verloren.

Wenn sie die gegen dieses Urteil eingelegte Revision zurückziehen, wird damit das vorangegangene Urteil rechtskräftig.

Doch das tut ihnen nicht so weh — sie verlieren nur in diesem speziellen Fall gegen diesen speziellen Prozessgegner. Weil es aber nicht zum Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs kommt, gibt es auch keine höchstrichterliche Leitlinie, auf die sich andere Kläger in parallel laufenden Verfahren berufen können.

Beispiel Kassenleistung: Eine private Krankenkasse wird gerichtlich verdonnert, eine neuartige Augenoperation zu bezahlen. Gegen das Urteil zieht sie vor den BGH, um sich zu wehren.

Als sich andeutet, dass die Kasse verliert, streicht sie die Segel und bezahlt — aber eben nur in diesem Einzelfall. Andere Patienten haben kein höchstrichterliches Urteil als Argumentationsstütze für ihre Klage.

Beispiel Strompreis: Ein Verbraucher wehrt sich gegen zu hohe Stromkosten. Die untere Gerichtsinstanz gibt ihm Recht, weil eine bestimmte Strompreisklausel unwirksam ist.

Als der Stromanbieter auch vor dem BGH zu scheitern droht, zieht er seine Revision zurück. Er erstattet dem Kläger zu viel gezahlte Stromkosten, aber seine Klauseln bleiben gültig, alle anderen Kunden müssen weiter zahlen.

Beispiel Bankberatung: Eine Bank wird wegen falscher Wertpapierberatung zu Schadensersatz verurteilt. Die Revision zieht sie zurück, muss daher in diesem Einzelfall Schadensersatz zahlen; andere falsch Beratene haben aber kein Grundsatzurteil, auf das sie ihre Klage stützen können.

Nun hätte auch ein Urteil des BGH in diesen Fällen zunächst einmal nur den Einzelfall entschieden. Doch alle Untergerichte hätten sich in Zukunft an die vom obersten Zivilgericht vorgegebene Leitlinie gehalten. Eine rechtswidrige Praxis wäre daher auch mit Wirkung für andere Fälle abgestellt worden.

Dass in Zukunft eine solche Revisionsrücknahme nicht mehr so einfach ist, das regelt ein Anfang 2014 in Kraft tretendes Gesetz. Ab dann gilt, dass derjenige, der die Revision eingelegt hat, diese nur noch bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung zurücknehmen kann.

Danach kann er dies nur noch, wenn der Prozessgegner einwilligt. Das ist nicht nur befriedigend für die Richter des BGH, die sich in einem lange andauernden Verfahren schon viele Gedanken über ihre Urteilsbegründung gemacht hatten.

Vor aber allem dürfte dies ein Segen für betroffene Verbraucher sein, die in Zukunft oftmals davon profitieren dürften, dass sich Konzerne durch taktische Winkelzüge nicht mehr aus der Verantwortung stehlen können.

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