Experten suchen Komplizen des Milliarden-Zockers

Aktienhändler Jerôme Kerviel hat sich den Behörden gestellt. Persönlich bereichert hat sich der Banker wohl nicht.

Paris. Er war ein einfacher Aktienhändler bei der französischen Großbank Société Générale. Am Freitag stand sein Bild auf den Titelseiten der Zeitungen rund um den Globus. Jerôme Kerviel soll durch einen nie da gewesenen Betrug der Bank einen Verlust von fast fünf Milliarden Euro beschert haben. Am Samstag stellte er sich und ließ sich von der Finanzpolizei in Gewahrsam nehmen. Und dort zeigt sich Kerviel kooperativ. "Er ist bereit, sich zu erklären", hieß es gestern von Staatsanwalt Jean-Michel Aldebert. Kerviel soll heute einem Richter vorgeführt werden.
Mittlerweile wurde auch der Firmensitz der Bank durchsucht
Der Börsenhändler war seit Bekanntgabe des Betrugsfalls am Donnerstag aus der Öffentlichkeit verschwunden. Gerüchte kursierten, er sei außer Landes geflogen. Kerviels Anwalt hatte das aber dementiert und die Kooperationsbereitschaft seines Klienten betont. Mittlerweile wurden auch Kerviels Wohnung im Pariser Vorort Neuilly und der Firmensitz der Societé Générale durchsucht.
Die Bank beschuldigt den Banker, das Kontrollsystem des Geldinstituts manipuliert und durch riskante Geschäfte einen Milliardenverlust verschuldet zu haben. Finanzexperten bezweifeln allerdings, dass Kerviel ein Einzeltäter ist.
Der 31-Jährige war seit dem Jahr 2000 bei der Société Générale. Seit 2005 arbeitete er dort als Händler im Pariser Geschäftsviertel La Défense. Knapp 100 000 Euro verdiente er im Jahr, während Kollegen durch großzügige Prämien für gelungene Geschäfte Millionen absahnten. Mitarbeiter der Bank beschreiben Kerviel als fleißig, zurückhaltend, eher in sich gekehrt - ein Kontrast zu dem aufschneiderischen Gehabe der Mitglieder der Finanzbranche.
Die Bank bezeichnet Kerviel als Betrüger und Terroristen
Dass Kerviel so genau über die Sicherheitsmechanismen bei der Société Générale Bescheid wusste, liegt daran, dass er vor sieben Jahren just in der Abteilung anfing, die für interne Kontrollen zuständig ist. Im so genannten Middle Office habe er tiefe Einsicht in die Sicherungssysteme der Bank erhalten, sagte Bank-Vize Philippe Citerne.
Kerviel soll ohne Erlaubnis Wetten auf das Steigen oder das Fallen von Aktienindizes abgeschlossen habe und diese Positionen durch "extrem ausgefeilte und wechselnde Techniken" verschleiert haben.
Anfang Januar soll Kerviel dann aufs Ganze gegangen sein und Scheingeschäfte von 50 bis 73 Milliarden Euro aufgebaut haben. Als die Bank dies merkte, verkaufte sie Kerviels Positionen ab Montag mitten in die Börsenkrise hinein auf einen Schlag. Am Ende blieb ihr ein Verlust von 4,9 Milliarden Euro.
Über die Motive des 31-Jährigen kann nur spekuliert werden. Der Société Générale zufolge versuchte er nicht, sich persönlich zu bereichern. Trotzdem hält die Bank an der These vom Einzeltäter fest. Société-Générale-Chef Daniel Bouton verurteilte den geschassten Banker als "Betrüger und Terroristen".
Kerviels Familie zeigte sich angesichts solcher Vorwürfe fassungslos. Seine Tante Sylviane Le Goff sagte, ihr Neffe sei mit Sicherheit manipuliert worden, denn er sei immer "seriös und zurückhaltend" gewesen. "Wenn es der Börse gut geht, geht es Jerôme gut. Wenn es ihr schlecht geht, geht es ihm schlecht." Hat Kerviels Tante recht, dürfte es ihrem Neffen im Moment ziemlich mies gehen. Reaktionen Nicolas Sarkozy Der französische Staatspräsident sprach von einem "internen Betrugsfall", der weder die Solidität noch die Vertrauenswürdigkeit des französischen Bankensystems infrage stellt.
Jean-Claude Trichet Der Präsident der Europäischen Zentralbank fordert schärfere interne Kontrollen bei den Banken.
Josef Ackermann Der Chef der Deutschen Bank hat im eigenen Haus sofortige Untersuchungen angekündigt.

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