Europa stemmt sich gegen die Schuldenkrise

Berlin/Brüssel/Bratislava (dpa) - Milliarden-Finanzspritzen und harte Vorgaben für Banken, möglicher Schuldenschnitt für Griechenland - die EU sucht den großen Wurf, um einen Flächenbrand zu verhindern.

Immerhin besinnt sich die Slowakei: Ein Kuhhandel sorgt für das Ja zum Euro-Rettungsschirm

Europas Problem-Banken droht der Einstieg des Staates. Um einen Kollaps der Branche zu verhindern, schlug die EU-Kommission ein Maßnahmen-Bündel vor. Die „Schutzwälle“ müssten verstärkt werden, forderte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso am Mittwoch - notfalls auch mit staatlichen Mitteln. Dafür gab es harte Kritik der Banken, die um ihre Selbstständigkeit fürchten und der Politik die Schuld an der Krise geben.

Gute Nachrichten aus der Slowakei: Nach einem ersten gescheiterten Anlauf am Dienstag wird das Parlament in Bratislava dem erweiterten Rettungsfonds EFSF wohl bis Freitag zustimmen. Die nötige Mehrheit erreicht das konservativ-liberale Regierungslager, die nur noch geschäftsführend im Amt ist, mit Hilfe der oppositionellen Sozialdemokraten Smer. Im Gegenzug gibt es am 10. März 2012 Neuwahlen, wo sich die Sozialdemokraten gute Chancen ausrechnen. Die Slowakei ist das letzte der 17 Euro-Staaten, das dem EFSF noch zustimmen muss.

Die Banken müssten ihr Eigenkapital deutlich stärken, um sich gegen Risiken aus der Schuldenkrise in Griechenland und anderen Euro-Staaten zu schützen, sagte Barroso. Sollten sie sich nicht selbst helfen können, müssten sie notfalls mit staatlichen Mitteln abgesichert werden.

Erst am Wochenende war der belgisch-französische Bankkonzern Dexia zerschlagen worden. Es war die erste große Bankengruppe, die in den Strudel der europäischen Schuldenkrise geriet.

Einzelheiten für höhere Kernkapitalquoten soll die Europäische Bankenaufsicht (EBA) in London vorschlagen. Falls eine Bank frisches Kapital brauche, sollte es auf Dividenden- und Bonusauszahlungen verzichten. Nach Medienberichten ist eine sogenannte harte Kernkapitalquote von neun Prozent im Gespräch - Barroso äußerte sich nicht zu Zahlen. Je höher die Kernkapitalquote ist, desto besser ist eine Bank gegen Geschäftsrisiken geschützt.

Zunächst müssten sich die Banken über den Markt finanzieren, dann seien erst die Staaten an der Reihe. „Falls diese Hilfe nicht zur Verfügung steht, sollte es Kredite von EFSF geben“, sagte Barroso im EU-Parlament mit Blick auf dem Rettungsfonds für kriselnde Eurostaaten (EFSF).

Barroso legte die Vorschläge eineinhalb Wochen vor dem EU-Gipfel vor, der auf den 23. Oktober verschoben wurde. Hauptthema ist die Bankenrettung. „Vertrauen kann nur wiederhergestellt werden, wenn alle nötigen Elemente zur Krisenlösung sofort eingesetzt werden.“

Er sprach sich dafür aus, den bereits vereinbarten ständigen Krisenfonds für finanzschwache Eurostaaten (ESM) um ein Jahr auf Mitte 2012 vorzuziehen. Der ESM soll den EFSF ablösen.

Die Leistungsfähigkeit des EFSF, der bisher 440 Milliarden Euro ausleihen kann, müsse „maximalisiert“ werden, so Barroso. Er spielte damit auf Szenarien an, sogenannte Kredithebel einzusetzen, um die Ausleihkapazität des Fonds zu steigern. Es gibt Befürchtungen, wonach der Rettungsschirm Schieflagen in Italien oder Spanien nicht mehr stemmen könnte.

Der Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes, Michael Kemmer, bezeichnete die Vorschläge Barrosos als „ungeeignet“. Sie bekämpften nicht die Ursachen der Staatsschuldenkrise. „Würden sie umgesetzt, wären die bestehenden gesetzlichen Anforderungen der Kapitalausstattung von Banken - zumindest vorübergehend - Makulatur.“ Die Banken hätten in den vergangenen Monaten ihr Kapital deutlich aufgestockt und seien damit erheblich widerstandsfähiger als vorher.

An der Börse wuchs die Hoffnung auf Fortschritte zur Lösung der Krise. Der Euro zog an, der deutsche Leitindex Dax legte weiter zu und übersprang zeitweise zum ersten Mal seit Mitte August wieder die psychologisch wichtige 6000-Punkte-Marke.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) dämpfte Erwartungen, die Schulden- und zugleich drohende Bankenkrise rasch eindämmen zu können. „Es wird niemals die eine Lösung sein für das gesamte Problem (...) Einen Paukenschlag, einen Befreiungsschlag wird es nicht geben“, sagte Merkel in Ho-Chi-Minh-Stadt in Vietnam. Sie will bis Ende des Monats zusammen mit Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy ein Gesamtpaket vorlegen.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) pocht auf eine Beteiligung privater Gläubiger bei einem möglichen Schuldenschnitt Griechenlands. Wenn die griechischen Schulden „auf Dauer nicht tragfähig sind, und es spricht viel dafür, dass sie es nicht sind, müssen sie eben so reduziert werden, dass Griechenland eine verlässliche Perspektive hat“, sagte er in Berlin. Der Minister sprach sich dafür aus, eine Finanztransaktionssteuer wenn nicht weltweit und in ganz Europa, so doch allein in der Eurozone oder national einzuführen.

Die Deutsche Bundesbank ermahnte das pleitebedrohte Griechenland, die mit EU, EZB und Internationalem Währungsfonds (IWF) verabredeten Sparmaßnahmen konsequent umzusetzen. Andernfalls könne ein Schuldenschnitt nicht ausgeschlossen werden, sagte Bundesbank-Präsident Jens Weidmann der „Bild“-Zeitung (Donnerstag). Er fügte nach Angaben der Notenbank jedoch hinzu: „Aber damit würden die Ursachen des Problems nicht gelöst.“ Der Schlüssel zum Erfolg liege bei Griechenland. Das Land müsse seinen Staatssektor in den Griff bekommen und seine Wirtschaft wettbewerbsfähig machen.

Die Staats- und Regierungschefs der Euroländer forderte Weidmann auf, die „richtigen Lehren aus dieser Krise zu ziehen“ und ein „stabiles Fundament der Währungsunion“ sicherzustellen. Immer nur die Rettungsschirme auszuweiten könne keine Lösung sein. Denn die Steuerzahler trügen ein hohes Risiko.

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