Analyse Der Gewerkschaftsbund leidet unter Mitgliederschwund

DGB-Chef Reiner Hoffmann fordert Nachbesserungen in der Arbeitsmarktpolitik — und hofft auf eine große Koalition.

 Appelliert an die SPD: der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann.

Appelliert an die SPD: der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann.

Foto: Paul Zinken

Berlin. Die Zahl der Mitglieder in den acht Einzelgewerkschaften des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) ist erstmals seit der Wiedervereinigung unter die Sechs-Millionen-Marke gerutscht. Das teilte DGB-Chef Reiner Hoffmann am Freitag auf der Jahresauftakt-Pressekonferenz in Berlin mit. Zugleich machte er sich für Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD stark.

Genau 5,995 Millionen Mitglieder verzeichneten die DGB-Gewerkschaften Ende des vergangenen Jahres — 52 000 weniger als im Dezember 2016. In der alten Bundesrepublik war die Mitgliederzahl bislang nur einmal zeitweilig unter sechs Millionen gesunken. Das war in der zweiten Hälfte der 50er Jahre. Hoffmann bedauerte die Entwicklung. Gleichwohl seien die DGB-Gewerkschaften immer noch „die größte zivilgesellschaftliche Organisation in Deutschland“.

Formal betrachtet ist das Potenzial für eine Mitgliedschaft bei IG Metall, Verdi und Co. sogar gestiegen, denn der Arbeitsmarkt boomt. 2017 gab es in Deutschland durchschnittlich 44,3 Millionen Beschäftigte, so viele wie noch nie. Allerdings machen dem DGB die gleichzeitigen Veränderungen der Arbeitswelt zu schaffen. So absolviert nur noch etwa jeder zweite Schulabgänger in Deutschland eine duale Ausbildung. Die andere Hälfte studiert. Und in akademischen Berufen ist der gewerkschaftliche Organisationsgrad schwächer als in der Industrie. Zudem hat die Zahl der prekären und niedrig entlohnten Jobs zugenommen. In diesem Bereich ist der Einfluss der Gewerkschaften ebenfalls überschaubar. Wenn Betriebe bestimmte Arbeitsprozesse in andere Unternehmen auslagerten, dann sinke die Tarifbindung, klagte Hoffmann.

Kritik und Lob für das Sondierungsergebnis

Vor diesem Hintergrund meldete der DGB-Chef Nachbesserungen beim Sonderungsergebnis von Union und SPD an. Auch die Bundeskanzlerin habe die Bedeutung der Tarifbindung schon mehrfach betont, doch der Beschlusstext enthalte dazu nur einen „Nebensatz“, kritisierte Hoffmann.

Nach den Vorstellungen des DGB sollten outgesourcte Mitarbeiter so lange ihrem alten Tarifvertrag unterliegen, bis ein neuer gelte. Obendrein müssten die Voraussetzungen erleichtert werden, um einen Tarifvertrag für allgemeinverbindlich zu erklären. Ein Dorn im Auge sind dem DGB auch die geplanten Einschränkungen für Beschäftigte in kleineren Betrieben zur Aufnahme einer befristeten Teilzeitarbeit. Zugleich kritisieren die Gewerkschaften die angepeilte Ausweitung der Verdienstgrenze bei den sogenannten Midi-Jobs. Dadurch sollen mehr Niedrigverdiener bei den Sozialbeiträgen entlastet werden. Der DGB befürchtet indes, dass eine solche Maßnahme zur generellen Ausweitung des Niedriglohnsektors führt.

Unter dem Strich überwiegt für den DGB-Chef im Sondierungsbeschluss aber das Positive. Dazu zählte er insbesondere die Rückkehr zur paritätischen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung, die Stabilisierung des Rentenniveaus sowie eine Mindestausbildungsvergütung.

Hoffmann forderte die SPD deshalb auch dringend auf, morgen grünes Licht für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen zu geben. Alles andere bedeute „Chaos“.

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