Das große „Wunder der Rentenmark“

Vor 90 Jahren: Die Währung liegt am Boden. Es herrschen Hunger und Elend. Die Regierung zieht die Notbremse.

Berlin. Es ist ein Trauma, das bis heute nachwirkt. Bilder, die sich ins kollektive Gedächtnis der Deutschen eingegraben. Im Krisenjahr 1923 erreicht die Inflation unvorstellbare Ausmaße. Die Notenpresse läuft Tag und Nacht. Die Preise explodieren. In Wäschekörben tragen die Menschen nahezu wertlose Geldscheine in die Läden. Ein Brot kostet 105 Milliarden Reichsmark, ein Straßenbahnticket 150 Milliarden Mark, ein US-Dollar 4,2 Billionen Mark. Die Arbeitslosenquote liegt bei fast 25 Prozent, das soziale Elend nimmt zu.

Dann aber kommt eine Währungsreform, die Historiker als „Wunder der Rentenmark“ bezeichnen. Die Vorgeschichte: Nach dem Ersten Weltkrieg hat die junge Weimarer Republik gewaltige finanzielle Probleme. Um den Krieg zu finanzieren, hatte Deutschland massiv Schulden aufgenommen. Dazu kommen nach 1918/19 immense Reparationszahlungen. Der Ausweg: Immer neue Staatsschulden. Die Notenpresse wird angeworfen. Dann das Krisenjahr 1923. Politische Unruhen erschüttern die Republik.

Der Verfall der Währung geht ungebremst weiter. „Die Mark rutschte, fiel, überstürzte sich, verlor sich im Bodenlosen“, schreibt der Schriftsteller Max Krell. Die Preise steigen auf astronomische Höhen. Mitte November 1923 kostet ein Kilo Roggenbrot 233 Milliarden Mark, ein Kilo Rindfleisch 4,8 Billionen. Als der US-Dollar schließlich bei knapp 4,2 Billionen Mark steht, handelt die deutsche Politik. Am 15. Oktober 1923 unterschreiben Reichskanzler Gustav Stresemann und Reichsernährungsminister Hans Luther die Verordnung über die Errichtung einer Deutschen Rentenbank.

Am 15. November beginnt die Ausgabe der Rentenmark mit einem Umtauschkurs von einer Rentenmark zu einer Billion Mark. Zugleich wird die Notenpresse stillgelegt. Die Rentenbank gibt dem Reich keine Kredite mehr. Es kommt zu drastischen Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen. Zehntausende Staatsbedienstete werden entlassen. Der Wechselkurs stabilisiert sich, die Hyperinflation wird gestoppt. Die Bevölkerung nimmt die Rentenmark an. Experten sehen als Grund: Vertrauen. Denn die Rentenmarkt sei nicht wirklich materiell unterfüttert gewesen, sagt der Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser von der Universität Bielefeld.

1924 wird wieder eine durch Gold und Devisen gedeckte Reichsmark eingeführt. Geboren ist das Trauma der Inflation. Die Erfahrungen mit der Hyperinflation der 20er Jahre sowie die Inflation nach dem Zweiten Weltkrieg fließen in die Gründung der Bundesbank ein. Geldwertstabilität wird die vorrangige Aufgabe der 1957 gegründeten Notenbank.

Die Inflationsraten in der Bundesrepublik sind — mit Ausnahmen Anfang der 70er und Anfang der 90er Jahre — moderat geblieben. Aber: Die Hyperinflation von 1923 habe sich „tief in das kollektive Gedächtnis der Deutschen eingegraben“, sagt Ökonom Max Otte.

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