Ausbildung Bauindustrie setzt auf Flüchtlinge

Dem Baugewerbe fehlt der Nachwuchs. Um die Lücken zu füllen, bereitet sie in einem Versuchsprojekt junge Flüchtlinge auf eine Ausbildung vor.

Ausbildung: Bauindustrie setzt auf Flüchtlinge
Foto: Ulrich Hoeck

Kerpen. Der Bauindustrie gehen die Mitarbeiter aus. „Der demografische Wandel hat uns voll getroffen“, sagt Axel Wahl, Vorstandsmitglied des Bauindustrieverbands NRW. Viele Betriebe sind überaltert, doch trotz relativ guter Verdienstmöglichkeiten für Auszubildende und einer Übernahmequote von 95 Prozent bleiben viele Stellen unbesetzt. 565 Ausbildungsverträge wurden in der -Bauindustrie in Nordrhein-Westfalen in diesem Jahr geschlossen. Um die Unterdeckung in den Betrieben auszugleichen, seien mindestens 800 neue Azubis jährlich nötig, sagt Wahl. Deshalb geht der Verband der Bauindustrie neue Wege, um Mitarbeiter zu gewinnen. „Wir sehen die Flüchtlinge als Chance für die Nachwuchsgewinnung“, sagt er.

Das Berufskolleg des Ausbildungszentrums der Bauindustrie in Kerpen hat deshalb extra zwei Klassen für 44 Flüchtlinge eingerichtet. An drei Tagen in der Woche erhalten sie Schulunterricht, an zwei Tagen werden sie praktisch ausgebildet. Ziel ist, sie auf einen Beruf in der Baubranche vorzubereiten und ihnen einen Schulabschluss zu ermöglichen. „Es gibt keinen schnelleren Weg, Flüchtlinge in die Gesellschaft zu integrieren, als über Arbeit“, sagt Wahl. „Diese Leute sind hungrig nach Ausbildung. Es sind junge Menschen, die unheimlich viel Energie und Ehrgeiz mitbringen“, schwärmt der Mann aus der Baubranche geradezu.

Ulrich Goos ist Leiter des Kerpener Ausbildungszentrums (ABZ) der Bauindustrie. Seit vier Wochen wird hier das Projekt angeboten, das mit einem Berufsgrundschuljahr vergleichbar ist. Zunächst gegen die Überzeugung seiner Mitarbeiter. Denn vor Jahren war das ABZ mit einer ähnlichen Maßnahme für inländische Jugendliche ohne Schulabschluss krachend gescheitert. „Ich musste die Kollegen erst überzeugen, noch einmal so eine Klasse, diesmal mit Flüchtlingen, zu übernehmen“, sagt er. Diese Bedenken haben die Teilnehmer — unter ihnen zwei Frauen — inzwischen gründlich zerstreut. Pünktlich, ordentlich, wissbegierig und höflich seien sie. Und dazu extrem dankbar. „Tugenden, die wir oft erst vermitteln müssen, bringen diese jungen Menschen schon mit“, sagt Goos.

Sie besuchen die Klassen, um Deutsch zu lernen. Und um ihre Chancen auf einen Ausbildungsplatz in der Bauindustrie zu erhöhen. „Wenn die sich weiterhin so präsentieren, besteht eine sehr große Möglichkeit, dass sie einen Ausbildungsvertrag bekommen“, sagt Goos. Denn auch die Unternehmen der Bauindustrie schicken ihre Ausbildungsleiter in die Lehrwerkstätten der ABZ. „Das ist eine Bewerbung, für die man keine Zeugnisse braucht. Denn Zeugnisse aus ihrem Vorleben haben die meisten nicht mitgebracht.“

„Das ist gut hier“, sagt Merouane Zakaria aus Marokko und meint die Ausbildungsvorbereitung. Zu Hause sei er Gerbermeister. „Aber ich habe gehört, das kann man in Deutschland nicht gebrauchen.“ Ein Jahr lang will er im ABZ lernen, die Sprache, die Handgriffe. „Wenn ich das schaffe, möchte ich eine Ausbildung machen.“ Die Wünsche der meisten Flüchtlinge hier sind klein. Klein wie die Schritte, in denen sie ihre Zukunft planen.

Singh Urvinder ist sogar in Köln geboren, doch schon als Kind ging er mit seinen Eltern nach Indien zurück. Jetzt ist er wieder an seinem Ausgangspunkt angekommen, als Flüchtling. Er ist froh über die Abwechslung, die der Lehrgang zum Leben in den Flüchtlingsunterkünften bietet. „Very boring“ sei es da, sehr langweilig. Über seine Fluchtgründe sagt er nichts. Genauso wie die Eritreer Tesfaldet Misghina, der mit dem Flugzeug aus dem Sudan, oder Muruy Yohannes Kubrom, der mit dem Boot über das Mittelmeer gekommen ist.

Über sie und die anderen sagt Ulrich Goos: „Die Leute haben gerade ihr Leben gerettet, die wollen in Deutschland noch mal ganz vorne anfangen.“ Das erklärt ihre Schüchternheit, aber auch ihre Motivation.

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