Bahn: Streik – sie dürfen, sie dürfen nicht

Analyse: Das juristische Pingpong um einen Lokführerstreik ist noch längst nicht entschieden. Die wichtigsten Argumente.

<strong>Düsseldorf. Immer unübersichtlicher wird das juristische Pingpong über die Zulässigkeit eines Streiks der Lokomotivführer. Das vom Arbeitsgericht Nürnberg ausgesprochene einstweilige Verbot ist nicht das letzte Wort. Morgen wird das Landesarbeitsgericht Nürnberg entscheiden. Ebenfalls erwartet wird eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf. Sollten die Lokomotivführer auch hier unterliegen und kommt es zu keiner gütlichen Einigung, dürfte das Bundesarbeitsgericht oder auch das Bundesverfassungsgericht am Zug sein. Denn bei einem Streikverbot kann die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) auf jeden Fall geltend machen, in einem Grundrecht verletzt zu sein: Die in Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes garantierte Koalitionsfreiheit ist das Recht, "zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden". Weil dieses Recht aber nur dann sinnvoll sein kann, wenn diese Koalitionen auch handlungsfähig sind, garantiert dieses Grundrecht auch das Recht zum Streik. Und eben dieses Streikrecht wird der GDL ja durch die Entscheidungen aus Nürnberg und Düsseldorf zumindest vorläufig abgesprochen.

Vor allem drei Argumente werden sowohl die Arbeitsgerichte als auch das Bundesverfassungsgericht abwägen müssen.

Da ist zum einen das vom Nürnberger Arbeitsgericht angesprochene Argument, dass "durch den Streik nicht nur der Bahn, sondern auch der gesamten Volkswirtschaft immense wirtschaftliche Schäden drohten." Dass etwa in der Autobranche oder in der Chemie-Industrie die Produktion behindert werde, kontert der Bremer Arbeitsrechtler Wolfgang Däubler mit dem Argument: "Solche Auswirkungen können sich bei jedem Streik ergeben." Nur dann sei dieser doch wirklich effektiv.

Auch spricht das Arbeitsgericht Nürnberg ausdrücklich die "in der Hauptreisezeit" durch einen Streik drohenden Schäden an. Däubler meint zu diesem den Fahrgästen drohende Ungemach: Es gebe nun mal kein Grundrecht auf Mobilität. Die Mobilität könne nur im Rahmen des vorhandenen Verkehrsangebotes wahrgenommen werden. "Wer in einer Gegend wohnt, wo die Bahn ihre Strecken stillgelegt hat, ist viel schlimmer betroffen, trotzdem kann er nichts daran ändern", argumentiert Däubler.

Eine weitere Begründung für ein Streikverbot hat große Bedeutung für das gesamte Tarifrecht. Es geht um den so genannten Grundsatz der Tarifeinheit - eine Idee, die das Bundesarbeitsgericht entwickelt hat: In einem Betrieb sollten nicht mehrere konkurrierende Tarifverträge nebeneinander bestehen dürfen, die von verschiedenen Gewerkschaften abgeschlossen werden. Gilt dieser Grundsatz der Tarifeinheit, dann - so das Argument - hätte die GDL keinen Anspruch auf einen eigenen Spartentarifvertrag. Und wenn sie ohnehin keinen solchen abschließen könnte, dann dürfte sie natürlich auch nicht dafür streiken.

Eine Gewerkschaft darf sich nicht aus der Solidarität aller Beschäftigten verabschieden - unabhängig davon, ob ihre Forderungen berechtigt sind. Der das sagt, spricht im Sinne der Fahrgäste. Und im Sinne der Deutschen Bahn. Und im Sinne der vom Lokführerstreik bedrohten Wirtschaft. Doch der, der sich da gegen konzertiertes Arbeitnehmerhandeln ausspricht, ist selbst Gewerkschafter, der oberste gar: DGB-Chef Michael Sommer.

Sommer ist Partei in dieser Frage, schließlich ist die streikwillige Gewerkschaft der Lokomotivführer für ihn Konkurrenz. Doch müssen er und die großen Gewerkschaften sich selbstkritisch die Frage stellen, warum sie Gruppen mit so hohem Druckpotenzial, wie es Lokführer, Ärzte und Piloten sind, nicht in ihre Organisation integriert haben. Arbeitnehmersolidarität schön und gut, doch zu viel Gleichmacherei im Tarifvertrag führt zwangsläufig zur Abspaltung - wer wollte den Sinn einer Differenzierung zwischen Ticketverkäufer und Lokführer bezweifeln?

Dabei läge es nicht nur im Interesse der Gewerkschaft, auch ihre Funktionseliten zu integrieren. Auch für die Arbeitgeberseite ist ein für alle Arbeitnehmer sprechender Verhandlungspartner wichtig. Denn sonst werden die Unternehmen nach erfolgreichem Tarifabschluss später von einzelnen Berufsgruppen in neue Auseinandersetzungen gezogen, wie wir sie jetzt erleben.

Doch die Koalitionsfreiheit, die in unserer Verfassung Grundrechtsrang hat, gesteht Arbeitnehmern den Zusammenschluss zu. Dieser Zusammenschluss ist nur sinnvoll, wenn diese Koalitionen auch das Recht zum Streik haben. Das Streikrecht ist in unserer Wirtschaftsordnung ein wichtiger Pfeiler, den die Gerichte nicht antasten dürfen. Ohne das damit verbundene Drohpotenzial wäre jede Tarifverhandlung aus Arbeitnehmersicht nur ein kollektives Betteln.

Es stimmt zwar, dass das Streikrecht auf dem Gedanken beruht, dass die Mitarbeiter der Unternehmensleitung unterlegen sind. Dieser Gedanke scheint nicht so recht auf eine kleine Gruppe von Arbeitnehmern zu passen, die wie die Lokführer an wichtigen Schalthebeln sitzen und mit geringem Aufwand große Wirkung erzielen. Doch Sonderregeln für solche Gruppen würden das ganze Streikrecht aushöhlen.

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