Mehrwertsteuer 19 Prozent auf Esel - sieben Prozent auf Maultiere

Mehrwertsteuer-Wirrwarr kostet 30 Milliarden Euro / Ruf nach Reformen

Mehrwertsteuer: 19 Prozent auf Esel - sieben Prozent auf Maultiere
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Berlin. Rund 30 Milliarden Euro lässt sich der deutsche Staat den ermäßigten Mehrwertsteuersatz auf verschiedenste Waren und Dienstleistungen in diesem Jahr kosten. Das teilte das Bundesfinanzministerium jetzt auf eine Anfrage der Grünen mit. Doch längst nicht alle Ermäßigungen sind auch sinnvoll. Politische Versuche, das Dickicht zu lichten, schlugen bislang immer fehl.

Bereits seit 1983 liegt die reduzierte Mehrwertsteuer unverändert bei sieben Prozent. Der volle Satz hat sich in diesem Zeitraum immerhin von 14 auf 19 Prozent erhöht. Eingeführt wurde die Ermäßigung aus sozialen Gründen. Allein bei Lebensmitteln sparen die Verbraucher 2016 dadurch 20,5 Milliarden Euro, wie aus der Stellungnahme des Finanzministeriums hervor geht. Tickets für den Nahverkehr werden mit 1,2 Milliarden Euro subventioniert. Die Steuervergünstigung hat freilich auch diverse Lobby-Gruppen auf den Plan gerufen. So kommt es, dass die sieben Prozent mittlerweile für rund 60 Produktgruppen gelten - mit zum Teil absurden Auswüchsen.

Für reine Gewürze beispielsweise ist der niedrige Satz maßgebend, für Gewürzmischungen der volle. Krabben und Garnelen werden mit sieben Prozent besteuert, aber für Hummer und Austern sind 19 Prozent fällig. Letzteres gilt auch für Babywindeln, derweil Rennpferde dem ermäßigten Steuersatz unterliegen. Sogar Maultier und Esel leben fiskalisch in getrennten Welten. Genauso wie Kunden in Fast-Food-Restaurants, wenn sie ihr Essen mitnehmen (sieben Prozent), oder es dort verzehren (19 Prozent).

Gute Vorsätze, den Steuerdschungel zu lichten, gab es immer wieder. Schon Anfang der Jahrtausendwende präsentierte die damalige rot-grüne Bundesregierung einen entsprechenden Gesetzentwurf. Doch der ging im Protesthagel der Lobby-Verbände unter. Auch die spätere Koalition aus Union und FDP gelobte Besserung. Aber das Vorhaben verlief ebenfalls im Sande. Am Ende wurde bei den Ausnahmen sogar noch draufgesattelt. So beschloss Schwarz-Gelb eine Steuerermäßigung für Hoteliers, die den Staat laut Finanzministerium in diesem Jahr 1,2 Milliarden Euro kostet.

Nach Ansicht des grünen Wirtschaftsexperten Thomas Gambke gehören alle Ausnahmen abgeschafft, die einer schlüssigen Begründung entbehrten. Dazu zählt er die Steuernachlässe für Hotelübernachtungen, aber auch für Tiernahrung. "Die freiwerdenden Mittel sollten besser für Bildung und Infrastruktur verwendet werden", sagte Gambke unserer Zeitung. Aus der SPD kommt gar die Forderung nach einer grundlegenden Reform. "Mein Vorschlag wäre, 16 Prozent auf alles", bekräftigte die Vorsitzende des Finanzausschusses, Ingrid Arndt-Brauer, ihre schon mehrfach geäußerte Idee. Studien von Wirtschaftsinstituten belegten, dass in diesem Fall fast keiner draufzahlen müsste. "Insgesamt wäre das eine gigantische, steuerliche Vereinfachung", so die Sozialdemokratin gegenüber unserer Zeitung. Allerdings räumte sie auch ein, dass eine solche Lösung wegen großer Widerstände kaum Chancen auf Verwirklichung hätte.

Die amtierende Koalition, der Arndt-Brauer angehört, hat das Steuersystem übrigens noch weiter verkompliziert. Im vergangenen Jahr wurde ein ermäßigter Satz für Hörbücher eingeführt. Die müssen nun steuerrechtlich von den Hörspielen abgegrenzt werden. Handelt es sich nämlich um mehr als eine Stimme auf der CD, dann ist das kein Hörbuch, sondern ein Hörspiel. Und das wird mit dem vollen Satz, also 19 Prozent, besteuert. "Die Lobbyisten der Hörspiele kommen dann vielleicht nächstes Jahr zum Zuge", meinte Arndt-Brauer sarkastisch.

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