Analyse Zaudern statt Zauber

Berlin (dpa) - Schon die ersten drei Sätze sind eine schwere Geburt. Über die dürre Erklärung nach dem ersten „In-die-Augen-Schauen“ von Kanzlerin Angela Merkel (CDU), CSU-Chef Horst Seehofer, SPD-Chef Martin Schulz und den Fraktionsspitzen von Union und SPD wurde lange verhandelt.

Analyse: Zaudern statt Zauber
Foto: dpa

Der entscheidende Satz darin lautet: „Die Vertreter von CDU und CSU haben deutlich gemacht, dass sie gemeinsam mit der SPD Sondierungen zur Bildung einer stabilen Regierung aufnehmen wollen“.

Damit zieht die Union eine rote Linie und beerdigt quasi alle roten Träumereien von alternativen Modellen, wo man nur so halb mit der Union regieren muss und nebenher etwas Opposition machen kann. Die SPD trägt diese Erklärung mit, der letzte Satz lautet, die SPD werde am Freitag über das Ansinnen der Union beraten und entscheiden. „Entweder es wird alles sondiert oder es wird nicht sondiert“, macht ein einflussreicher Parteilinker klar - will heißen: auch andere Wege und nicht wie von Merkel und der Union gewollt, nur über eine große Koalition - nichts anderes meinen sie mit „stabile Regierung“.

Der Satz hört sich wie das Selbstverständlichste der Welt an, Merkel möchte nach dem Jamaika-Debakel, ihren gescheiterten Sondierungen mit FDP und Grünen, nun mit der SPD zügig eine krisenfeste Regierung bilden.

In der SPD-Spitze herrscht am Donnerstag Schweigen, aber für Schulz ist der eine Satz eine Hypothek. So favorisiert der größte Landesverband aus Nordrhein-Westfalen eine Minderheitsregierung Merkels, wo die Union alle Minister stellt und partiell von der SPD unterstützt wird. „Kooperieren ja, aber nicht heiraten“, umschreibt es Bremens Regierungschef Carsten Sieling. Doch was wenn Schulz darüber gar nicht mehr verhandeln kann, weil Merkel das nicht will?

Kann das Projekt dann schon in einem sehr frühen Stadium scheitern? Vielleicht war es ein weiterer strategischer Fehler von Schulz, dem SPD-Parteitag vor einer Woche „ergebnisoffene Gespräche“ mit der Union vorzuschlagen. Ein Versprechen, das er wohl nicht wird halten können - aber es war das Vehikel, um die GroKo-Gegner einzufangen.

Schulz sollte auf Wunsch der Partei neben der Minderheitsregierung auch eine Kooperationskoalition („Koko“) in den Gesprächen mit Merkel thematisieren. Hierbei würde die SPD zwar wie die Union Minister in der Regierung stellen, aber nur auf bestimmten Feldern kooperieren, wie beim Haushalt und Auslandseinsätzen. Bei anderen Themen könnte sie dann auch mit anderen Parteien eigene Projekte durchsetzen.

Mit dem Projekt könnte man das Trauma bekämpfen, in einer „Groko“ nur als Anhängsel Merkels wahrgenommen zu werden - und mehr klare Kante und Profil zeigen. Schulz droht in die Falle zu laufen, die er und die gesamte Spitze sich selbst gestellt haben. Ihnen schlug beim Parteitag Misstrauen entgegen, von einem abgekarterten Spiel war die Rede - die Führung rede von „ergebnisoffen“, wolle aber nur über die „Groko“ verhandeln. Da Schulz hier nach der klaren Ansage wohl nicht liefern kann, macht es die Lage für die schlingernde SPD prekär.

Nach dem Vorstand und ersten Sondierungen müsste Mitte Januar ein Sonderparteitag grünes Licht geben für konkrete Verhandlungen - in einzelnen Landesverbänden sind bis zu zwei Drittel gegen eine erneute große Koalition. Der damalige SPD-Chef Sigmar Gabriel schaffte mit dem Bugsieren der Partei in Richtung der ungeliebten „GroKo“ 2013 sein Meisterstück - er hält Schulz nun vor, nicht richtig zu führen.

Schulz steht in der Kritik, weil er statt klarem Kurs gerne allen vieles verspricht und nun Probleme hat, die Fäden zusammen zu bekommen - und parallel mit CDU/CSU eine Lösung zu finden. Es war von vornherein klar: Es ist kein Anfang, dem ein Zauber innewohnt, aber so viel Zaudern und Zweifel? Merkel würde gerne aufs Tempo drücken.

Doch Merkel muss warten. Am Donnerstagmorgen wiederholt sie in einer kurzen Telefonschalte mit ihrem Parteivorstand nach Angaben von Teilnehmern lediglich das dürre Statement vom Vorabend. Auch wenn die Worte „große Koalition“ dort nicht vorkommen, soll jedem in der SPD klipp und klar sein, dass die Union nicht für Wackelspielchen à la „Kooperations-Koalition“ zur Verfügung steht. Die Formulierung, man wolle mit der SPD „Sondierungen zur Bildung einer stabilen Regierung aufnehmen“, schließt andere, von der SPD genannte Varianten aus.

Parteivize Julia Klöckner mahnt, sich jetzt bitteschön öffentlich zurückzuhalten und abzuwarten, was die SPD entscheide. Was noch hinter den knappen Sätzen vom ersten Spitzentreffen steht, sagt am Donnerstag Saar-Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) der „Wirtschaftswoche“: „Aus Sicht der CDU könnte und sollte es konzentrierter und schneller gehen.“ Schließlich werde auch wegen der Probleme in der EU eine Bundesregierung mit klarem Mandat gebraucht.

Die Union will auch angesichts der internationalen Lage nicht noch einmal wie bei Jamaika die nächsten Wochen ergebnisoffen hin und her sondieren - um dann vielleicht Ende Januar festzustellen: es geht doch nicht. Halbschwanger geht nicht, schallt es aus der Union, von der SPD als „Krabbelgruppe“ und von Therapiebedarf ist die Rede.

Kleine Randentwicklung in der Endlos-Story „Deutschland sucht eine Regierung“: Trotz des mehrfachen Neins von FDP-Chef Christian Lindner schließt dessen Stellvertreter Wolfgang Kubicki im „Focus“ einen Jamaika-Neuanlauf nicht aus, wenn die Gespräche zwischen Union und SPD scheitern. „Eine alte Kommandeursweisheit lautet: Wenn eine neue Lage da ist, muss man sie neu bewerten“, meint Kubicki vielsagend.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort