Im Streit vereint Wie Raute und Löwe auf den Wahlsieg setzen

München (dpa) - Horst Seehofer kann das einfach nicht verstehen. „Hochzufrieden“ schwärmt er am Montagmorgen vor der CSU-Landesleitung in München vom vorabendlichen Grillen mit der Kanzlerin. Beinahe so, als hätte es gar kein Zerwürfnis mit der CDU-Vorsitzenden in der Flüchtlingspolitik gegeben.

„Auch wenn Sie es immer wieder alle glauben“, beteuert der bayerische Ministerpräsident, „bei uns gibt es keine Inszenierung.“ Bleibt die Frage, wie man den Verlauf der vergangenen zweieinhalb Monate dann nennen soll.

Damals im November bei Merkels Entscheidung für eine vierte Kanzlerkandidatur sah die CSU wegen großer Differenzen mit der Schwesterpartei CDU noch keine Möglichkeit für eine Unterstützung. Erst sollten die Inhalte geklärt werden, dann die Personalfragen, gab Seehofer die Linie vor. Nun gibt es „einhellige“ Zustimmung der CSU für Merkel. Aber hat sich inhaltlich so viel verändert?

Seehofer begründet das Ja zu Merkel jetzt so: Das Fundament sei nun wirklich stabil. Es sei offen und ehrlich und klar gesprochen worden. „Das ist ein guter Kompass.“ Und Merkel erklärt, CDU und CSU hätten es wahrlich nicht leicht miteinander gehabt. Das Zusammenrücken in München sei notwendig gewesen, weil Gemeinsamkeit in der Wahrnehmung der Menschen ein hohes Gut sei.

Die Frage nach den Verletzungen, die Seehofer ihr mit Vorwürfen wie einer „Herrschaft des Unrechts“ in der Flüchtlingspolitik zugefügt habe, beantwortet sie nicht. Sie kann aber nicht lachen, wenn der Ministerpräsident jetzt auch noch witzelt, er bestätige gern, dass Bayern zu Deutschland gehört, jedenfalls „für den Augenblick“.

Der grundsätzliche Dissens jedoch - zu dem sich Merkel und Seehofer in München offen bekennen - bleibt: die Einführung einer Obergrenze für die Aufnahme von 200 000 Flüchtlingen pro Jahr. Inhaltlich gibt es da überhaupt keine Annäherung. Demnach müssten sich die Wege von CDU und CSU nach der Bundestagswahl auch im Falle eines Sieges der Union trennen. Denn Seehofer schwört quasi, die CSU eher in die Opposition zu schicken als einen Koalitionsvertrag ohne Obergrenze zu unterschreiben.

Merkel stellt bei dem gemeinsamen Auftritt mit Seehofer nach zweitägiger gemeinsamer Beratung in München klar: „Ich habe nicht die Absicht, hier die Position zu ändern.“ Damit wäre die jahrzehntelange Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU im Fall eines Wahlsieges bei der Bundestagswahl passé. Im Herbst 2017 würden Seehofer und Merkel den Bruch vollziehen, der 41 Jahre zuvor vom CSU-Übervater Franz Josef Strauß zwar bei einer Tagung im oberbayerischen Kreuth angedroht, aber dann doch noch abgeblasen worden war.

Beinahe passend dazu schenkt die CSU Merkel in München ein Foto von Strauß, wie er vom Westteil Berlins auf die Mauer blickt. Merkel sagt, sie hätte ihn gern kennengelernt. Auch weil er sich zur DDR unideologisch verhalten habe. Die Kreuther Trennungsbeschlüsse habe sie damals hingegen nicht so intensiv verfolgt. Seehofer quittiert dies schmunzelnd mit einem Schulterzucken.

Gibt es denn gar keine Brücke für Merkel und Seehofer bei der Obergrenze? Vielleicht doch. Seehofer hebt hervor, auch Merkel betone, dass sich das Jahr 2015 mit mehr als 800 000 neu angekommenen Flüchtlingen nicht wiederholen dürfe. Derzeit kämen monatlich etwa 12 000 Flüchtlinge nach Deutschland. „Das liegt aufs Jahr hochgerechnet deutlich unter der Obergrenze“, sagt Seehofer. Und: „Mein Gott, es wird in der Politik immer so sein, dass unterschiedliche Instrumente das gleiche Ziel gewährleisten.“ Also womöglich eine Umgehung der Verankerung der Obergrenze, weil die Fakten für sich sprechen?

Nun aber trifft die Union mit voller Härte noch ein Problem, das sie bisher nicht auf dem Zettel hatte. Die SPD holt in Umfragen mit ihrem gerade ausgerufenen Kanzlerkandidaten Martin Schulz in Windeseile auf - überholt die Union sogar am Montag. Seehofer kündigt an, CDU und CSU würden um jeden einzelnen Wähler kämpfen. Um die Konservativen und Enttäuschten, die der Union den Rücken gekehrt haben - „um die ganze Breite der Bevölkerung“. Das hat sich auch Schulz vorgenommen.

Merkel sagt, die Zeit bis zur Bundestagswahl am 24. September reiche noch aus, um den Bürgern die Gemeinsamkeiten von CDU und CSU darzulegen. Mit der Unterstützung der CSU stürze sie sich jetzt umso kraftvoller in den Wahlkampf.

Ein spannende Frage wird noch sein, ob das Grummeln in CDU und CSU über die jüngste Vergangenheit aufhört und sich auch die Merkel- Gegner bei den Christsozialen und die Seehofer-Kritiker bei den Christdemokraten auf einen gemeinsamen Kurs einschwören lassen. Hier dürfte Seehofer mehr gefordert sein, denn schließlich hatte er Merkel in der Flüchtlingsfrage sogar mit Verfassungsklage gedroht. Da hatte der „Löwe“, wie sich Seehofer selbst gerne mal nennt, laut gebrüllt.

Für angereiste Christdemokraten, die selten in die CSU-Kantine in München kommen, gibt es am Montag dann aber doch ein - wenn auch gar nicht beabsichtigtes - gutes Omen. Der Name der Kantine bezieht sich auf das Logo der CSU, könnte aber auch für Seehofer und Merkel stehen: „Löwe und Raute - einfach genießen“.

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