Vermutlich mehr als 700 Migranten im Mittelmeer ertrunken

Rom/Athen (dpa) - Das zentrale Mittelmeer wird einmal mehr zur tödlichen Falle für Migranten auf dem Weg nach Europa. Binnen weniger Tage sind vermutlich mehr als 700 Menschen bei dem Versuch umgekommen, mit Schlepperbooten von Nordafrika nach Italien zu gelangen.

Vermutlich mehr als 700 Migranten im Mittelmeer ertrunken
Foto: dpa

Die Zahlen gründeten auf Aussagen von Überlebenden, sagte Carlotta Sami vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR der Deutschen Presse-Agentur in Rom.

Im bisherigen Brennpunkt Griechenland entspannt sich dagegen die Lage. Der Zustrom von Flüchtlingen aus der Türkei bleibt nach der Schließung der Balkanroute und nach dem EU-Türkei-Pakt mit ein paar Dutzend Neuzugängen pro Tag gering. Doch die Versorgungsprobleme bleiben groß.

Zur Unfallbilanz im Mittelmeer hieß es beim UNHCR, dass von einem am Donnerstag gekenterten Boot 550 Menschen vermisst würden. Etwa 100 könnten im Rumpf eines am Mittwoch gesunkenen Schiffes gefangen sein. Bei einem Schiffbruch am Freitag sei die Zahl der Opfer unklar. Überlebende hätten auch von Vermissten anderer Flüchtlingsboote berichtet. „Wenn wir diese düsteren Zahlen zusammenführen, so schätzen wir, dass es mindestens 700 Opfer gibt - ohne Sicherheit in Bezug auf die Zahlen und die Identität der Opfer“, sagte Sami. Auf Twitter schätzte die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) die Zahl der Todesopfer gar auf 900.

Im Hafen von Reggio Calabria im Süden Italiens wurden erneut 629 Überlebende und 45 Leichen an Land gebracht. Unter den Toten waren 36 Frauen, sechs Männer und drei Kinder im Alter zwischen sechs Monaten und zwei Jahren, wie die Nachrichtenagentur ANSA berichtete.

Ein MSF-Schiff transportierte weitere 604 Migranten in die sizilianische Hauptstadt Palermo. Darunter seien auch 15 schwangere Frauen gewesen, einschließlich eines minderjährigen Vergewaltigungsopfers, berichtete ANSA unter Berufung auf den örtlichen Arzt Giuseppe Termini. Weitere 382 Migranten landeten im sizilianischen Messina.

Die MSF-Ärztin Paola Mazzoni sagte dem Nachrichtensender SkyTG24, dass Kämpfer libyscher Milizen gewohnheitsmäßig Migrantenmädchen in der Gefangenschaft vergewaltigten. Die Geretteten seien oft „Menschen, die seit Monaten unter Hunger, Kälte, Not und Gewalt gelitten haben.“

Der CSU-Europaabgeordnete Manfred Weber forderte die Zerstörung des Schlepperunwesen notfalls mit Gewalt, um „das Sterben im Mittelmeer“ zu beenden. „Gegen die Schlepper muss man mit aller Härte vorgehen“, sagte der EVP-Fraktionschef im Europaparlament der „Bild am Sonntag“. „Wenn es darauf ankommt, auch mit dem Einsatz von Waffen und innerhalb der 12-Meilen-Zone vor Libyen.“ Zudem müsse man mit den Staaten Nordafrikas Abkommen gegen die illegale Migration schließen.

Italiens Regierungschef Matteo Renzi forderte, das Problem an der Wurzel zu bekämpfen, um der Migration die Grundlage zu entziehen. „Wir müssen den Menschen zu Hause helfen, mit mehr Geld für internationale Entwicklungshilfe als ersten Schritt“, sagte er dem katholischen Blatt „Avvenire“. Italien schlägt vor, afrikanische Staaten finanziell zu unterstützen und ihnen Einreisequoten für Studenten und Arbeiter als Gegenleistung für stärkere Grenzkontrollen zuzusagen.

Nach der Schließung der Balkanroute ist Italien zum Haupttor für Migranten nach Europa geworden. Nach IOM-Zahlen erreichten im Zeitraum vom 19. bis 26. Mai nur 272 Flüchtlinge Griechenland; 5674 kamen nach Italien. Die meisten brechen von Libyen auf. Dort warten laut IOM bis zu 200 000 Menschen auf die Überfahrt nach Europa.

In Griechenland sitzen rund 53 000 Migranten fest, seit das Nachbarland Mazedonien seine Grenzen für sie geschlossen hat. Das Lager Idomeni an der mazedonischen Grenze war vergangene Woche geräumt worden, Tausende Bewohner wurden umgesiedelt. Der EU-Nachbar Bulgarien beschloss eine verstärkte Überwachung seiner Grenzen zu Griechenland, nachdem Flüchtlinge aus Idomeni illegal ins Land gelangt waren. Die Behörden nahmen 96 Migranten fest. 56 Menschen, die in einem Güterzug versteckt waren, wurden umgehend nach Griechenland zurückgeschickt.

Im Athener Lager Elliniko leben nach Berichten griechischer Medien rund 4000 Migranten, vornehmlich Afghanen, seit Monaten unter schlechtesten Bedingungen. Die Regierung wolle die Menschen bald in besseren Unterkünften unterbringen, heißt es. Das UNHCR warf Athen vor, Flüchtlinge in Lagerhäusern und auf Fabrikgeländen ohne ausreichend Nahrung, Toiletten und Strom unterzubringen. Der griechische Stab für die Flüchtlingskrise warf dem UNHCR Querschüsse statt konstruktiver Zusammenarbeit vor.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort