Streit über Konsequenzen nach Atomunfall

Berlin (dpa) - Als Konsequenz aus dem Atomunfall in Japan hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Überprüfung der Sicherheitsstandards bei den deutschen Atomkraftwerken angekündigt. „Die Geschehnisse in Japan, sie sind ein Einschnitt für die Welt“, sagte Merkel am Samstagabend in Berlin.

„Das ist eine außergewöhnlich ernste Situation.“ Es werde „in der nächsten Woche auch im Parlament natürlich dazu eine Debatte geben“. Das Thema müsse auch auf die Tagesordnung der EU-Fachminister. Mit der Bemerkung, es sei zu früh, endgültige Schlussfolgerungen zu ziehen, wandte sich Merkel indirekt gegen die Forderung nach einer Stilllegung deutscher Atommeiler. Sicherheit bleibe das oberste Gebot.

Sie versicherte: „Es ist nach menschlichem Ermessen nicht vorstellbar, dass Deutschland von den Auswirkungen des Unglücks in Japan betroffen sein könnte.“ FDP-Chef Guido Westerwelle erklärte, angesichts des tausendfachen Leids sei nicht die Zeit für parteipolitische Debatten über die Risiken der Atomkraft.

Oppositionspolitiker, Verbände und Initiativen forderten hingegen, die deutschen Anlagen baldmöglichst abzuschalten. SPD, Grüne und Linke kritisierten die von der Koalition im Herbst beschlossene Verlängerung der Laufzeiten um durchschnittlich 12 Jahre und betonten, die Kernkraft sei auch in Deutschland nicht völlig beherrschbar. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin sagte: „Die ehemalige Umweltministerin (Merkel) sollte wissen, dass keines der in Deutschland laufenden Atomkraftwerke auf eine Kernschmelze hin ausgelegt ist. Die Lehre aus dieser Erkenntnis lautet Laufzeitbegrenzung.“

Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) lehnte angesichts der Schreckensbilder von der Erdbebenkatastrophe in Japan eine schnelle innenpolitische Atomkraftdebatte ab. Er räumte aber ein, dass sich auch für Deutschland die Frage nach der Beherrschbarkeit der Atomrisiken stelle. In den „Tagesthemen“ sagte Röttgen, die Regierung betrachte die Kernkraft „als Brücke, das heißt, sie ist ein Auslaufmodell.“ Die Ereignisse hätten bewusst gemacht, „dass wir eine andere Energieversorgung brauchen.“ Japanis Kernkraftwerke seien besonders sicher ausgelegt worden. „Und trotzdem ist es passiert.“

Atomkraftwerke „sind gegen das Risiko einer Kernschmelze nicht gefeit“, mahnte Trittin in Berlin. In Deutschland stünden Atomanlagen, „die genau diesen Störfall nicht beherrschen. Genau diese Anlagen sind gerade von der Bundesregierung in der Laufzeit verlängert worden“, sagte er „Spiegel online“. Der umweltpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Matthias Miersch, forderte „die Bundesregierung auf, nicht auf Karlsruhe zu warten und die Laufzeitverlängerung sofort zurückzunehmen.“ Mehrere Bundesländer haben gegen die entsprechenden Gesetze in Karlsruhe vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt.

SPD-Chef Siegmar Gabriel erklärte „Spiegel Online“: „Für die SPD und auch für mich ist seit langem klar: Die Risiken der Atomenergie sind völlig unvertretbar und wir müssen so schnell wie möglich dort aussteigen.“ Die Linkspartei plädierte für einen weltweiten Stopp des Ausbaus der Atomkraft. „Die japanischen Meiler galten als die sichersten“, gaben die Parteivorsitzenden Klaus Ernst und Gesine Lötzsch zu bedenken. „In Deutschland müssen wir zu einer Politik der systematischen Reaktorabschaltung kommen.“

Der Präsident des Naturschutzbundes NABU, Olaf Tschimpke, forderte die Bundesregierung auf, ältere „Schrottmeiler“ sofort stillzulegen. Ähnlich argumentiert die Umweltschutzorganisation Greenpeace: „Atomkraft ist verantwortungslos“, sagte ihr Atomexperte Jörg Hein.

Mit einer Neubewertung der Kernenergie in Deutschland rechnet das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) nach dem Reaktorunfall in Japan. „Der Druck auf Bundeskanzlerin Merkel wird zunehmen, den Atomkonsens mit der Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke wieder zurückzunehmen“, sagte die DIW-Energie-Expertin Claudia Kemfert „Handelsblatt Online“. Der Technikvorstand des Energiekonzerns RWE, Gerd Jäger, sieht dagegen keinen Grund, die Laufzeitverlängerung für deutsche Meiler bis 2035 zu überdenken. „In Deutschland werden mit gutem Grund höchste Sicherheitsstandards für Kernkraftwerke angesetzt, und sie werden von uns erfüllt“, sagte er der „Welt am Sonntag“.

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