Analyse Sondierer am Ende

Berlin (dpa) - Es ist ein Tag der Entscheidung für Angela Merkel, Martin Schulz und Horst Seehofer. Mal wieder. Aber es ist auch mal wieder nur ein Tag der Vorentscheidung für die Chefs von CDU, CSU und SPD - und für die Republik.

Analyse: Sondierer am Ende
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Denn auch 16 Wochen nach der Bundestagswahl wird nach der Endrunde der Sondierungen noch immer unklar sein, wie im wichtigsten Land Europas die quälend lange Wackelpartie bei der Regierungsbildung beendet werden kann. So oder so: Die größten Hürden stehen noch bevor.

Schon der Auftakt mit den drei nach ihren miserablen Wahlergebnissen angeschlagenen Parteichefs wirkt am Morgen wie ein Zeichen. Schulz spricht als Hausherr in der SPD-Zentrale als erster und am längsten. Eine neue Regierung müsse „vor allem einen Aufbruch für die Europäische Union mit einleiten“. Ob das Thema viele Genossen an der Basis wirklich so brennend interessiert? Man habe zwar schon viele gemeinsame Interessen identifiziert, sagt er. „Aber es gibt dicke Brocken, die wir noch aus dem Weg zu räumen haben.“

Und Merkel? Wirkt seltsam desillusioniert und klingt wie Schulz: „Wir haben viele Vorarbeiten geleistet, aber es liegen noch große Brocken auf dem Weg.“ Die CDU werde alles einbringen „an Konstruktivität, um die nötigen Kompromisse zu finden“, sagt sie etwas umständlich. Aber natürlich habe man auch im Auge, „dass wir eine richtige Politik für unser Land machen müssen“.

Das ist das Signal an die SPD: Nicht alles wird mit ihr gehen, was sich der Partner in spe wünscht. Großer Optimismus sieht anders aus. Seehofer verschwindet fast ohne Regung in die rote Zentrale - wo er doch sonst an kaum einem Mikrofon vorbeigeht. „Wir wollten schweigen“, knurrt er nur genervt.

Dass Merkel und Seehofer derart zurückhaltend starten, dürfte auch mit ihren jüngsten schlechten Erfahrungen zu tun haben. Bei den Ende November geplatzten vierwöchigen Jamaika-Sondierungen mit FDP und Grünen hatte es noch bis tief in die Nacht Signale gegeben, man sei immer noch auf gutem Weg. Und dann: Pustekuchen.

Aus der Union gibt es äußerst skeptische Töne - den ganzen Tag über. Alles sei möglich, ein Durchbruch genauso wie ein Scheitern. Auch für CDU und CSU gebe es eine Schmerzgrenze, machen manche in den Unionsreihen deutlich. Ist das die übliche Taktik, soll noch mal Druck aufgebaut werden? Die Tonlage, in der solche Einschätzungen abgegeben werden, klingt an diesem Tag anders. Tatsächlich besorgt.

Das mag auch daran liegen, dass man ganz ohne Einigung bei einem der wesentlichen Knackpunkte in den Tag startet. „Typisch Methode Mutti“, ätzt einer in Richtung Merkel. Wie in Brüssel und bei Jamaika setzt die Kanzlerin wohl darauf, die anderen in stundenlangen Beichtstuhlgesprächen bis tief in die Nacht weichzukochen.

Am Abend sieht es dann nicht viel anders aus, die Stimmung soll nicht wirklich gut sein. Finanzen, Migration, Arbeit, Gesundheit, Pflege - überall hakt es dem Vernehmen nach bis tief in die Nacht. Hinter verschlossenen Türen geht es stundenlang ums Geld, Spitzenrunden der drei Parteichefs wechseln sich ab mit getrennten Beratungen aller Seiten und Verhandlungen in größerem Kreis.

Auch das Steuerthema hat erwartungsgemäß große Sprengkraft. Zum Start der Endrunde liegen am Vormittag noch immer Forderungen mit einem Gesamtvolumen von 100 Milliarden Euro auf dem Tisch. Eigentlich war ein Finanzspielraum von 45 Milliarden Euro plus kleinem x im Gespräch, wie bei Jamaika. Zuletzt war dann bei der Union von „völlig irren Summen“ die Rede, wenn man die Kosten der Projekte addiere.

Fortschritte gebe es im Verhandlungsendspurt zwar auch, heißt es. Aber nur im Tempo einer Schnecke - auch weil die CDU/CSU immer wieder auf die Frage der Finanzierbarkeit poche. Denn: Von der „schwarzen Null“ im Haushalt - also dem Verzicht auf neue Schulden - wollen CDU und CSU angesichts sprudelnder Steuereinnahmen nicht abgehen. In der SPD dürfte es große Enttäuschung geben, wenn viele Wünsche mit der Union nicht zu erfüllen wären.

Für die CSU stehen auch an diesem Tag Zuwanderungsbegrenzung und Steuern/Finanzen ganz vorne. Wie könnte ein Kompromiss beim Familiennachzug aussehen, der für Flüchtlinge mit geringerem Schutzstatus 2016 für zwei Jahre ausgesetzt worden war? Bis März muss es eine Entscheidung geben, sonst gilt die alte Regelung, sprich: Diese Menschen können ihre engsten Familienangehörige nachholen.

Öffentlich wagt sich am Abend nur ein prominenter Sondierer vor: NRW-Regierungschef Armin Laschet warnt bei einem Auftritt in Köln kurz vor seinem Rückflug zu den Sondierungen, eine Einigung mit der SPD sei immens wichtig - „da steht jetzt manches auf dem Spiel“. Deutschland dürfe nicht in eine Krise schlittern, weil kein Regierung gefunden werde und viel Zeit bis zu einer Neuwahl vergehe.

Selbst wenn sich Union und SPD in allen Punkten einig werden und es noch mal miteinander versuchen wollen in einer weiteren GroKo, muss Schulz erst mal die Basis überzeugen, dass das eine gute Idee ist.

Das Schweigegebot während der Sondierungen ist da nur bedingt hilfreich. Die SPD-Spitze muss ihren Leuten nämlich erst mal mühsam erklären, wo sie sich durchgesetzt haben, wo sie aus welchem Grund zurückweichen mussten - und vor allem: dass sie auch wirklich, wirklich in alle Richtungen sondiert haben. Also „ergebnisoffen“, wie die Genossen das nennen. Schulz steht also vor einem Haufen Kommunikations- und Überzeugungsarbeit.

Nach dem Ende der Sondierungen dürften die Sozialdemokraten erst richtig rotieren. An diesem Freitag soll der Parteivorstand abstimmen, ob er dem Parteitag am 21. Januar den Einstieg in Koalitionsverhandlungen empfiehlt. Dazwischen will Schulz - wenn die Sondierungen denn gelingen - durch die Republik touren und insbesondere die GroKo-kritischen Landesverbände, allen voran NRW, von seinem Kurs überzeugen. Aber auch die GroKo-Gegner wollen mobilisieren. Juso-Chef Kevin Kühnert etwa will für ein Nein werben.

Was die Sache schwierig macht: Ein großes neues Projekt, ein Herzensthema, das die GroKo-müde SPD munter machen würde, ist nicht in Sicht. Aufbruchstimmung ohnehin nicht. Union und SPD könnten versuchen, die Sehnsucht der Genossen nach einer „neuen Politik“ eher stilistisch zu bedienen: Es geistern etwa Ideen umher von einer Art Revisionsklausel, um eine mögliche Koalitionszusammenarbeit nach zwei Jahren zu evaluieren. Oder der Gedanke, Regierungsmitglieder öfter zu Dialogveranstaltungen mit den Bürgern durch die Republik zu jagen. Ob das reicht?

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