Analyse Sieg des Berechenbaren gegen den „schlafenden Bären“

Wien (dpa) - Der Sieg von Alexander Van der Bellen bei der Präsidentenwahl in Österreich hat dem Höhenflug der Rechtspopulisten in Europa einen Dämpfer verpasst. Der ehemalige Grünen-Chef triumphierte mit - laut Hochrechnung - 53,3 Prozent unerwartet deutlich.

Doch die rechte FPÖ mit ihrem Kandidaten Norbert Hofer will sich von diesem Rückschlag nicht entmutigen lassen. Die 46,7 Prozent bedeuten nach den 49,65 Prozent in der ersten Stichwahl im Mai das bisher zweitbeste Ergebnis der Rechtspopulisten in Österreich. Der Sturm auf die Hofburg ist abgeblasen, am Tor des Kanzleramts rüttelt FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache weiterhin. Auch die AfD in Deutschland sieht keine generelle Trendwende zu ihren Ungunsten.

Der 72-jährige Wirtschaftsprofessor Van der Bellen verkörperte letztlich den berechenbaren Kandidaten, der im Inland nicht gleich alles auf den Kopf stellt und Österreich im Ausland würdig vertreten wird. Daneben war das stärkste Wahlmotiv seine Pro-EU-Haltung.

Eine starke Unterstützergruppe waren die Frauen. 62 Prozent der Wählerinnen votierten für ihn. Außerdem gelang es ihm, seine Schwäche auf dem Land abzumildern. In fast allen Gemeinden legte er auch dank seiner „Heimat“-Kampagne zu. Hofer dagegen agierte zwischen Baum und Borke: Seiner Kern-Klientel wurde er zu zahm, den Wählern der Mitte war er noch zu aggressiv.

Die Medien reagierten in ihren Berichten teilweise fast euphorisch. „Für Österreichs Ruf im Ausland ist dieses Wahlergebnis ein Jackpot“, heißt es im Wiener „Kurier“. Oder: „Statt ein Hort des Bösen sind wir für Europa nun plötzlich tolle Madln und Burschen“, kommentierte die Gratiszeitung „heute“. Generell wird darauf hingewiesen, dass Van der Bellen versuchen muss, die politischen Gräben im Land zuzuschütten.

Hat das Ergebnis Konsequenzen für die FPÖ? Jein. Die aktuell populärste politische Kraft sieht sich weiter auf dem Weg ins Kanzleramt. Und Strache reklamierte noch am Wahlabend seinen Führungsanspruch. Das kam nicht von ungefähr: Mit Hofer ist eine zweite FPÖ-Größe herangewachsen, die für viele Bürger wählbarer scheint als der wenig geschmeidige Strache. Hofer selber will nicht nur 2022 wieder fürs Präsidentenamt kandidieren, sondern sagte: „In mir wurde ein schlafender Bär geweckt, und du, Heinz-Christian, hast jetzt einen prominenten Wahlhelfer gewonnen.“ Das kann man als Versprechen oder Drohung sehen.

Das Grünen-nahe künftige Staatsoberhaupt hat im Wahlkampf immer wieder betont, er wolle eine FPÖ-Regierung mit allen Mitteln verhindern. Eine Vereidigung von FPÖ-Chef Strache schloss er praktisch aus. In den letzten Auftritten und am Wahlabend relativierte er dieses kategorische „Nein“. Es komme ihm darauf an, dass eine österreichische Regierung pro-europäisch sei. Die FPÖ hat mit Hofer bereits das Aufweichen ihres Anti-EU-Kurses eingeleitet.

Die Regierung bekommt die Chance zu einem neuen Anlauf. Die arg zerstrittene Koalition von sozialdemokratischer SPÖ und konservativer ÖVP wäre von Hofer wohl drangsaliert worden. Van der Bellen will mit seinem klassischen Amtsverständnis die Regierung in Ruhe arbeiten lassen. „Die Menschen wollen ernsthafte Regierungsarbeit sehen, keine billigen Pointen und Redeschlachten“, meinte Kanzler Christian Kern. Die Möglichkeit vorgezogener Wahlen - eigentlich stehen die nächsten Parlamentswahlen erst im Herbst 2018 an - ist aber nicht vom Tisch.

Die AfD-Bundesvorsitzende Frauke Petry sieht trotz des aktuellen Scheiterns von Hofer die FPÖ weiter auf der Siegerstraße. Auch die eigenen Chancen bei der Bundestagswahl 2017 seien nicht geschmälert worden. Die Bewegung gegen die etablierte Politik werde sich fortsetzen und weiter an Stärke gewinnen.

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