Analyse Scholz: „Dafür bitte ich um Entschuldigung“

Hamburg (dpa) - Der für die vielen Krawallopfer am Rande des G20-Gipfels in Hamburg entscheidende Satz fällt schon nach 120 Sekunden: „Dafür, dass das geschehen ist, bitte ich die Hamburgerinnen und Hamburger um Entschuldigung“, sagt Olaf Scholz in seiner mit Spannung erwarteten Regierungserklärung.

Analyse: Scholz: „Dafür bitte ich um Entschuldigung“
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Die Angst, ja der Terror, den die Gewalttäter verbreitet hätten, stecke vielen noch in den Knochen - „mir auch“. Scholz ist ernst, sehr ernst, als er das im voll besetzten Plenarsaal des Hamburger Rathauses sagt: „Als Bürgermeister fühle ich mich für die Sicherheit der Hamburgerinnen und Hamburger verantwortlich.“ Doch genau das sei ihm „trotz aller Vorbereitungen nicht durchweg gelungen“. Viele Bürger „mussten schlimme Situationen miterleben. Sie wurden direkt Opfer gezielter Zerstörungswut (...) Sie hatten Angst“.

Scholz steht politisch erheblich unter Druck. Obwohl er vor dem G20-Gipfel am Wochenende den Hamburgern eine Sicherheitsgarantie gegeben hatte und das Treffen der Staats- und Regierungschefs in Sachen Verkehr in die Nähe des Hafengeburtstags gerückt hatte, wurden fast 500 Polizisten und eine unbekannte Zahl an Demonstranten bei den drei Tage währenden Ausschreitungen verletzt, Geschäfte geplündert, Autos angezündet und Straßenzüge verwüstet.

Und „die politisch Verantwortlichen sitzen dort“, sagt Oppositionsführer André Trepoll und weist mit dem Finger zur rot-grün besetzten Senatsbank, wo sich Scholz die Rede des CDU-Fraktionschefs teils mit wie zum Gebet verschränkten Händen anhört. „Wo waren sie während der Krise“, fragt Trepoll - und trifft einen wichtigen Punkt. Denn an jenem Abend, als Anwohner ohnmächtig mit ansehen mussten, wie Hunderte Randalierer im Schanzenviertel bei stundenlanger Abwesenheit der Polizei wüteten, war die politische Spitze der Hansestadt nicht anwesend.

Scholz saß mit den Staats- und Regierungschefs der G20 in der von Sicherheitskräften hermetisch abgeriegelten Elbphilharmonie bei einem festlichen Dinner, während sich vor dem linksautonomen Kulturzenturm „Rote Flora“ der Mob austobte. Scholz hatte zwar noch in der Nacht in einem Video mit aschfahlem Gesicht die Randalierer gebeten, mit ihrem Tun aufzuhören - interessiert hat das jedoch niemanden.

Entscheidender war aber der Morgan danach. Statt den Menschen im Schanzenviertel beizustehen, die etwa vor den Trümmern ihrer geplünderten Läden standen, führte Scholz unter anderem Melania Trump durch das Rathaus, um ihr die Schönheit des Prachtbaus zu zeigen. „Warum waren sie in dieser Krise nicht an der Seite der Bürger? Hat es nicht schon genug schöne Fotos gegeben?“, fragt Trepoll. In diesen Stunden hätte man sich einen Helmut Schmidt gewünscht, als der bei der großen Sturmflut 1962 engagiert Leben rettete.

„Ein Hanseat muss in so einer Situation Verantwortung übernehmen. Herr Scholz, treten Sie zurück“, wiederholt Trepoll schließlich erwartungsgemäß seine Forderung - auf die Scholz in seiner rund 35-minütigen Rede gar nicht erst eingeht. Die Verantwortung für die Gewalttätigkeiten liege weder bei den Gipfel-Veranstaltern noch bei der Polizei, sagt Scholz. „Sie liegt bei denjenigen, die diese Gewalt ausgeübt haben, sie liegt bei dem kriminellen Mob, dem die Menschen in unserer Stadt völlig egal waren, dem es nur um Gewalt und Zerstörung ging.“

Die mit mehr als 20 000 Beamten in Hamburg eingesetzte Polizei habe Heldenhaftes geleistet, sagt Scholz. Und auch das Sicherheitskonzept sei sorgfältig vorbereitet gewesen. „Das, was da geschehen ist, hätte leider auch mit vielen zusätzlichen Polizeibeamten nicht verhindert werden können.“ Denn dass voll besetzte Busse auf der Elbchaussee bedroht oder Polizisten von Hausdächern aus massiv mit Eisenstangen, Pflastersteinen, Molotow-Cocktails und Stahlgeschossen aus Präzisions-Zwillen angegriffen würden, „ist in diesem Ausmaß nicht vorstellbar gewesen“. Auf Ungereimtheiten bei den Polizeieinsätzen, etwa wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass das Schanzenviertel über Stunden zum rechtsfreien Raum wurde, geht Scholz nicht ein.

Anders als Parteifreund und Außenminister Sigmar Gabriel zeigt Scholz sich weiter überzeugt von wechselnden G20-Austragungsorten in Großstädten und sieht auch den Hamburger Gipfel insgesamt als Erfolg. Er sei es wert gewesen. Dann will Scholz gut zwei Monate vor der Bundestagswahl offensichtlich beweisen, dass die SPD trotz des G20-Fiaskos das Thema Innere Sicherheit im Griff hat. Schließlich herrscht bei der Bundes-SPD nach dem G20-Chaos große Nervosität.

Die Innere Sicherheit ist die Achillesferse der Sozialdemokraten. Die Wähler trauen der Union bei der Verbrechensbekämpfung traditionell mehr zu. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz ist es nicht wirklich gelungen, den Angriffen aus der Union („SPD ist auf dem linken Auge blind“) etwas entgegenzusetzen. Die vergiftete Saat von CDU und CSU könnte aufgehen. Einzelne Umfragen sagen der SPD nur noch 22 Prozent bei der Wahl in zehn Wochen zu. Das wäre ein Desaster für Schulz. Aktuelle Machtperspektive für einen Kanzler aus Würselen: Null.

Entsprechend gibt Scholz in seiner Hamburger Regierungserklärung auch den Law and Order-Politiker, der auf harte Strafen für Randalierer hofft und eine europaweite Extremisten-Datei fordert. Und auch in Richtung Rote Flora hat er warnende Worte, ohne sich jedoch konkret über eine mögliche Schließung zu äußern: „Wer zu Demonstrationen aufruft und dabei eindeutig auf eine Beteiligung des Schwarzen Blocks zielt, trägt Mitverantwortung für das Handeln eben jener Kriminellen“, sagt er nur - und überlässt den Rest seinem Innensenator Andy Grote (SPD), der dann auch sagt: „Wir werden keine Konsequenz ausschließen.“

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