Analyse Proteste im Iran: Existenzängste und Perspektivlosigkeit

Teheran (dpa) - Die Proteste - oder vielmehr der Aufstand - im Iran hat als Kritik an der Wirtschaftspolitik der Regierung begonnen. „Nein zu hohen Preisen“, hieß es vergangene Woche in Maschad im Nordostiran zunächst nur.

Analyse: Proteste im Iran: Existenzängste und Perspektivlosigkeit
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Präsident Hassan Ruhani sollte etwas gegen Inflation und Arbeitslosigkeit unternehmen.

Aber schon in Maschad - und später landesweit - ging es sehr schnell nicht mehr um Wirtschaftsreformen, sondern um einen Regimewechsel.

„Es geht ja nicht darum, ob einer ein besseres Wirtschaftsprogramm hat als Ruhani, sondern dass wir mit den Mullahs keine Perspektive haben“, sagt der 23-jährige Student Ramin. Schon jetzt hat der werdende Architekt sich um einen Job beworben. Aber auch falls er ihn kriegen sollte, kann er sich mit dem Geld nicht mal eine kleine Wohnung leisten, von Heirat und Familie ganz zu schweigen. „Da gibt es Analphabeten, die in unserer Branche die Kohle machen, nur weil sie in irgendeiner Behörde einen Mullah kennen“, sagt Ramin.

Für viele Iraner der Mittel- und Arbeiterklasse sind dubiose Mafiabanden und die Korruption im Land ein Albtraum. „Diese Mafiabanden stehen morgens auf und hauen einfach neue Preise in den Markt, ganz egal ob wir Arbeiter uns das leisten können oder nicht“, sagt der Pförtner Ali Mohamed. Mit Frau und drei Kindern plagen ihn jeden Abend Existenzängste, wie er in Zukunft seine Familie über die Runden bringen soll.

Die Wirtschaftsprobleme der Menschen - und die Korruption im Land - sind aber nicht neu. Sie sind nach Meinung von Beobachtern und der Ruhani-Regierung auch nicht der Hauptgrund für die heftigen Proteste. „Um die Entwicklungen richtig einzuordnen, muss man den Hintergrund kennen“, sagt ein Politologe in Teheran. Es gehe auch hier wieder um den internen Machtkampf zwischen den Reformern und Hardlinern des Landes.

Im Fokus stehen dabei nach Einschätzung des Politologen einflussreiche Hardliner-Kreise in Maschad. Diese wollten mit Hilfe von Islamisten eine Anti-Ruhani-Kundgebung veranstalten, meint er. Bei dieser sollte unter dem Vorwand Wirtschaft und Inflation als Ausgangspunkt und später mit „Nieder mit Ruhani“-Slogans eine Protestwelle gegen den Reformkurs des Präsidenten gestartet werden. „Das ging dann aber gründlich schief“, so der Politologe.

„Ich will jetzt nicht erläutern, wo genau die Wurzeln dieser Ausschreitungen liegen, aber Wirtschaft alleine war es sicherlich nicht“, kommentierte auch Ruhani den angeblichen Plan der Hardliner. Auch für seinen Vize, Ishagh Dschahangiri, war dieser Plan ein gefährliches Spiel, das dann außer Kontrolle geraten sei. Für die Ausschreitungen seien daher auch die Hardliner mitverantwortlich.

„Unsere Wirtschaft ist nicht so schlecht, wie sie dargestellt wird“, sagt Ruhani. Laut dem Internationalen Währungsfonds (IWF) verzeichnete das Land für 2016 ein Plus von 12,5 Prozent und bis März 2018 wird ein Wachstum von 4,2 Prozent erwartet.

Auch die Inflation fiel von fast 35 Prozent vor Ruhanis Präsidentschaft 2013 auf zuletzt 10 Prozent. Sogar der Außenhandel, zum Beispiel mit Deutschland, zeigte Fortschritte. Das bilaterale Handelsvolumen von ungefähr drei Milliarden Euro vom letzten Jahr ist in der ersten Hälfte 2017 sogar um rund 25 Prozent gestiegen.

Dennoch ist die Wirtschaft im Iran krank. Das bestreitet auch Ruhani nicht. „Sie braucht in der Tat eine Chirurgie“, so der Präsident. Wirtschaftsexperten halten es für falsch, Ruhani alleine die Schuld zu geben. Das Land wurde in den acht Jahren der Präsidentschaft Mahmud Ahmadinedschads (2005-2013) wegen des Atomstreits wirtschaftlich sanktioniert. Das führte im ölreichen Iran zu einer Wirtschaftskrise. Ruhani hat nach eigenen Worten von seinem Vorgänger „eine regelrechte Ruine“ übernommen.

Mit dem Atomdeal von 2015 hoffte er dann über neue ausländische Investitionen die marode Infrastruktur zu erneuern, neue Arbeitsplätze zu schaffen und damit die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Aber auch das klappte nicht. Trotz Aufhebung der Sanktionen im Januar 2016 weigern sich westliche Großbanken, besonders die mit US-Geschäften, die geplanten Handelsprojekte mit dem Iran zu finanzieren. „Ohne Banken kann man nun mal schlecht Geschäfte machen“, so ein Wirtschaftsexperte in Teheran.

Die Lage für Ruhani wurde mit der Präsidentschaft Donald Trumps in den USA und seiner Kritik an dem Atomdeal noch schlimmer. Auf einmal stand das gesamte Abkommen auf der Kippe. „Genau das war auch ein willkommener Anlass für die Hardliner, einen regelrechten Coup gegen Ruhani zu starten“, sagt der Politologe. Nur wurde aus dem Anti-Ruhani-Coup ein Aufstand gegen das gesamte Regime.

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