Es droht der Ruin Ölmacht am Abgrund: Pleitegeier kreisen über Caracas

Caracas (dpa) - José Guerras Nachname heißt übersetzt: „Krieg“. Von Krieg ist in diesen Tagen in Venezuela viel die Rede. Vom drohenden Bürgerkrieg, vom Krieg zwischen Regierung und der Opposition, vom angeblichen Wirtschaftskrieg des Auslandes gegen die Sozialisten.

Es droht der Ruin: Ölmacht am Abgrund: Pleitegeier kreisen über Caracas
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24 Menschen wurden schon bei Protesten und Unruhen im April getötet. José Guerra (60) hat Angst, er ist einer der wichtigsten Ökonomen des Landes und Abgeordneter der Opposition im kaltgestellten Parlament. Treffen in Caracas, in einem gut gesicherten Restaurant in Altamira, Bastion der Opposition, hier lebt die Ober- und Mittelschicht. Als ein Wortführer, der für das Ende der Präsidentschaft des Sozialisten Nicolás Maduro kämpft, muss Guerra fürchten, im Gefängnis zu landen. „Das ökonomische Modell von Maduro hat uns in den Ruin geführt“, sagt er.

Nur ein paar Zahlen: Venezuela hat mit 300,8 Milliarden Barrel die größten bekannten Ölreserven der Welt. Bis 2014 lag das Land mit 367 Tonnen Gold weltweit auf Platz 3 der Staaten mit dem größten Goldanteil an den Währungsreserven. 2,5 Millionen Barrel pro Fass wurden gefördert - das Land war lange Zeit eines der reichsten Südamerikas. „Venezuela könnte das neue Saudi-Arabien werden“, so lauteten vor wenigen Jahren noch die Schlagzeilen.

Heute droht der Ruin, einige Wirtschaftsstatistiken sehen Venezuela sogar hinter Haiti. Die Ölförderung ist massiv eingebrochen. „Aber die Regierung veröffentlicht ja keine Zahlen mehr, etwa zum Bruttoinlandsprodukt“, sagt Guerra. Schätzungen zufolge ist es 2016 um bis zu 18 Prozent geschrumpft. Alles stehe und falle mit dem riesigen Staatskonzern Petróleos de Venezuela (PDVSA). Um die immer größeren Sozialleistungen zu finanzieren, wurden bis zu 13 Prozent auf PDVSA-Anleihen geboten.

Privates Unternehmertum wurde ausgebremst, zuletzt wurde sogar die Autofabrik des US-Konzerns General Motors beschlagnahmt. Die Schulden wurden immer größer, im April müssen knapp drei Milliarden Dollar für Anleihen zurückgezahlt werden. Es hat eine riesige Kapitalflucht gegeben - weil die Regierung aber einen Staatsbankrott und damit eine Beschlagnahmung der Ölfelder durch das Ausland fürchtet, werden die Schulden bedient. Es ist ein Drahtseilakt, die Pleite kann jederzeit eintreten. Die Goldreserven sind auf nur noch 170 Tonnen geschrumpft.

Parlamentspräsident Julio Borges hat Briefe an ein Dutzend Großbanken weltweit verschickt mit der Bitte, Maduro kein Gold mehr abzukaufen. Gold und Geld fehlen für Lebensmittel und Medikamente. Wer mal in der Abenddämmerung an der Müllkippe „La Bonanza“ vorbeigefahren ist, wo hunderte Menschen sich mit Geiern um abgeladene Essensreste streiten, bekommt ein Gefühl, wie das Land abgestürzt ist. Früher brachte auch der Tourismus viel Geld - Stichwort Isla Margerita. Aber heute verirrt sich kaum noch ein Tourist in das Land, das 2016 erschreckende 28 400 Morde zählte.

Es war eine „Revolution“ auf Pump, 95 Prozent der Exporteinnahmen hängen vom Öl ab. Maduro setzte allein auf die Hoffnung, der Preis für das schwarze Gold werde sich rasch wieder erholen. Venezuela braucht mindestens 70 bis 80 Dollar je Barrel (159 Liter) - zeitweise waren es unter 30 Dollar. Der Raffinerie-Komplex Paraguaná gilt von der Kapazität her als der drittgrößte der Welt, bis zu 950 000 Barrel pro Tag sind möglich, aber mangels Geld für Investitionen und ausländischem Know How werden keine 40 Prozent davon geschafft. So muss Venezuela für mehrere Milliarden aus dem Ausland Benzin einführen - selbst vom Erzfeind USA.

Nach Angaben des Ökonomen Alfredo Serrano sanken die Öleinnahmen von 39,7 Milliarden US-Dollar (2014) auf 13,24 Milliarden US-Dollar (2015) und lagen 2016 bei lediglich noch 5,29 Milliarden US-Dollar. Benzin wird trotz allem weiter hoch subventioniert - es ist das billigste der Welt. Wasser hingegen wird zum Luxusgut, die Flasche kostet so viel wie 250 Liter Benzin an der Zapfsäule in Caracas.

Dass Tausende PDVSA-Fachkräfte noch unter dem 2013 verstorbenen Hugo Chávez gefeuert und durch loyale Parteigänger ersetzt wurden, beschleunigte den Niedergang. Und wegen des Erdöls wurde statt auf den Aufbau einer starken eigenen Wirtschaft auf den Import wichtiger Güter gesetzt.

Guerra, Präsident der Finanzkommission des Parlaments, verdeutlicht die daraus resultierende Versorgungskrise an einem Vergleich: „2012 wurden Güter für 52 Milliarden Dollar importiert, darunter für 12 Milliarden Lebensmittel.“ 2016 waren es 20 Milliarden Dollar, für Lebensmittel konnten nur drei Milliarden Dollar aufgebracht werden.

Warum wird nicht im Land mehr produziert, Weizen angebaut, damit es genug Brot gibt? „Weil die Preise reguliert sind“, sagt Guerra. In Zeiten einer Hyperinflation von über 700 Prozent decken die Erträge nicht die Kosten. Und es fehle Geld für Saatgut. „Es ist traurig, es gibt heute Hunger in Venezuela.“ Nach einem möglichen Machtwechsel komme Venezuela, das mal als Verheißung galt, ohne Schuldenschnitt nicht auf die Beine. „Um etwas aufzubauen, braucht man sehr lange“, meint Guerra. „Etwas zu zerstören kann ziemlich schnell gehen.“

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