Kanzlerkandidat Mission Schulz: Die SPD wieder rot und glücklich machen

Bielefeld (dpa) - Hinter dem Rednerpult von Martin Schulz hat die SPD ein dreistöckiges Baugerüst aufgestellt. Schubkarre, Schutzhelme, Betonmischer und anderes Gerät machen klar: Hier geht es um den berühmten „kleinen Mann“.

Kanzlerkandidat: Mission Schulz: Die SPD wieder rot und glücklich machen
Foto: dpa

Schon bevor der Kanzlerkandidat spricht, beklatschen die rund 750 Gäste in Bielefeld eine Schlagzeile aus der Nacht. Schulz will ran an die Agenda 2010. Wenigstens ein bisschen.

Den Namen der umstrittenen Reformen des bisher letzten SPD-Kanzlers Gerhard Schröder nennt der neue Hoffnungsträger nicht in seiner knapp einstündigen Rede. Stattdessen berichtet er vom 50-jährigen Arbeiter in Neumünster, der mit 14 Jahren in den Betrieb kam. „Der Mann hatte Angst“, sagt Schulz. Wer jahrzehntelang hart arbeite, der habe Unterstützung verdient, wenn er seinen Job verliere.

In der Stadthalle Bielefeld (Adresse: Willy-Brandt-Platz 1) kommt das super an. Seit gut drei Wochen ist Schulz Kanzlerkandidat, seitdem spricht er hauptsächlich über Gerechtigkeit. In linken Phrasen ohne echten Inhalt, kritisieren Vertreter anderer Parteien. Eben erst hat die SPD den Programm-Parteitag für die Bundestagswahl verschoben. Der Ex-EU-Politiker und Ex-Bürgermeister soll genug Zeit bekommen, den Inhalten der Roten seinen Stempel aufzudrücken, heißt es.

Am Montag, übrigens der „Welttag der sozialen Gerechtigkeit“, nähert Schulz sich auf der Konferenz „Arbeit in Deutschland“ nun einem Programm an - in kleinen Schritten. Ein paar Bausteine: Weniger befristete Arbeitsverträge, mehr Qualifizierungsprogramme für Arbeitslose, Stärkung der betrieblichen Mitbestimmung, „Kulturwandel“ für selbstbestimmte Arbeitszeiten, gebührenfreie Bildung. Und das Arbeitslosengeld I, das länger gezahlt werden soll, bevor die Betroffenen von Hartz IV leben müssen. Eine Korrektur der Agenda 2010, dem rot-grüne Projekt der frühen 2000er.

Ob die Agenda notwendig war oder ungerecht, darüber lässt sich lange streiten. An der SPD klebt sie jedenfalls wie Dreck am Schuh, viele linke Sozialdemokraten haben ihrer Partei Hartz IV nie verziehen. „Auch wir haben Fehler gemacht“, sagt Schulz nun. Das sei nicht ehrenrührig, wenn sie korrigiert würden. Schulz, der als „Seeheimer“ zu den Parteikonservativen zählt, integriert so auch nach innen - etwas, das Noch-Parteichef Sigmar Gabriel kaum gelungen ist.

Begeistert zeigt sich etwa der ehemalige Gewerkschaftssekretär Hajo Rübsam. Der Rentner ist aus dem hessischen Homberg nach Bielefeld gekommen. „Seine Ausführungen waren mit wahnsinnig vielen Fakten zur Arbeit der Betriebsräte und zur Mitbestimmung gespickt. Das war schon beeindruckend“, sagt er der dpa. Besonders habe ihn berührt, dass Schulz den Schulterschluss zu den Gewerkschaften in den Vordergrund gestellt habe. Auch Hochschulprofessor Herbert Wassmann, 69, lobt die Rede: „Er hat in der Rede die Sorgen und Perspektiven der Menschen aufgezeigt und damit den Wunsch nach mehr Gerechtigkeit.“

Auch wenn Schulz nun etwas konkreter wird, von seiner linken Feel-Good-Rhetorik verabschiedet er sich nicht. Warum auch? In den jüngsten Umfragen liegt die SPD über 30 Prozent, in einigen Fällen sogar vor der Union. Der Schulz-Effekt hält schon jetzt länger an, als manche einer dachte.

Beunruhigen muss das Grüne, Linke und auch die AfD, die Wähler an die SPD zurückgeben. Gegen die Agenda 2010 zu feuern half der Linkspartei bisher, sich als eigentliche Interessensvertreter der einfachen Leute zu präsentieren. Nun beeilen sich die Linken, Schulz' Ankündigungen als unzureichend oder wenig glaubwürdig zu kritisieren.

Bei der SPD stört das vorerst niemanden. In Bielefeld wird der Kanzlerkandidat, der im März auch Parteichef werden soll, so begrüßt: „Jetzt freuen wir uns auf den, der die SPD gerade glücklich macht.“

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