„Sie sind nicht frei“ Journalisten in der Türkei unter Druck

Istanbul (dpa) - Wer die Zeitung „Cumhuriyet“ aufschlägt, wird jeden Tag mit einer Mahnung konfrontiert: Auf der Titelseite prangen die Portraits von zwölf Mitarbeitern der Zeitung, die in Untersuchungshaft sitzen.

„Sie sind nicht frei“: Journalisten in der Türkei unter Druck
Foto: dpa

Darunter ist zu lesen: „Sie sind nicht frei“. Unter ihnen ist der aktuelle Chefredakteur Murat Sabuncu. Der ehemalige Chefredakteur Can Dündar lebt im Exil in Deutschland.

Der Zustand der „Cumhuriyet“ steht symbolisch für den der Medien in der Türkei. Zahlreiche Journalisten sind im Gefängnis. Und das teilweise unter absurd anmutenden Vorwürfen oder ohne Anklage, wie Kritiker bemängeln. Unter ihnen ist der „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel, dem Terrorpropaganda und Volksverhetzung vorgeworfen wird.

Die Angaben über die Zahl der inhaftierten Journalisten weichen ab. Die Nichtregierungsorganisation P24 zählt mehr als 100. Die türkische Regierung bezifferte Anfang Februar die Zahl der Journalisten im Gefängnis dagegen lediglich auf 30. Reporter ohne Grenzen (ROG) spricht von mindestens 49 Journalisten in Haft. Dutzende weitere Fälle seien demnach wahrscheinlich, aber nicht nachprüfbar, weil die Betroffenen oft über die Anschuldigungen im Unklaren gelassen werden, heißt es auf der Website der Organisation.

Auch die „Cumhuriyet“-Mitarbeiter wussten monatelang nicht, was ihnen genau vorgeworfen wird. Seit Anfang April erst liegt die Anklageschrift vor. Vorwürfe sind unter anderem Unterstützung oder Mitgliedschaft in der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, der linksextremistischen DHKP-C oder der Gülen-Bewegung, die die türkische Führung für den Putschversuch vom 15. Juli 2016 verantwortlich macht. Als Indizien werden in der Anklageschrift unter anderem Artikel aus der „Cumhuriyet“ aufgeführt.

Von einer „beispiellosen Repressionswelle seit dem Putschversuch im vergangenen Sommer“ gegen Journalisten und Medien spricht ROG. Ein Grund dafür, dass die Türkei auf der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit noch einmal vier Stellen nach unten rutscht und nun Platz 155 von 180 belegt.

Unter dem nach dem Putschversuch ausgerufenen Ausnahmezustand ließ Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan mehr als 170 Medien und Verlage schließen. Darunter sind viele regionale und kritische Medien, die über den Kurdenkonflikt im Südosten des Landes berichteten, wie der TV-Sender IMC. Die Konsequenz: Zuverlässige Informationen aus dem Südosten zu erhalten, wird immer schwieriger.

Schon vor dem Putschversuch standen viele Medien der islamisch-konservativen AKP-Regierung nahe. Viele Medienkonzerne sind noch in anderen Bereichen wie dem Energie- oder Bausektor tätig. Das macht sie abhängig von staatlichen Aufträgen und beeinflussbar. Viele türkische Journalisten geben zu, dass sie sich lieber gleich selbst zensieren, bevor sie riskieren, ihren Job zu verlieren oder hinter Gittern landen.

Mit den Schließungen ist die Medienlandschaft nach dem Putschversuch noch eintöniger geworden. Die wenigen verbliebenen regierungskritischen Zeitungen wie „Cumhuriyet“, „Birgün“ und „Evrensel“ sind auflagenschwach. ROG-Geschäftsführer Christian Mihr kritisiert deshalb, dass die wichtigen Verfassungsänderungen, die beim Referendum am 16. April eine knappe Mehrheit erhielten, mangels Medienvielfalt „völlig unzureichend öffentlich diskutiert“ werden konnten.

Auch der Druck auf ausländische Journalisten steigt, wie der Fall Yücel zeigt. Außerdem wurden einigen internationalen Korrespondenten die Verlängerung ihrer Akkreditierung und damit die Arbeitserlaubnis für das Jahr 2017 verweigert. Darunter erst jüngst dem „Stern“-Korrespondenten Raphael Geiger, dem nach Angaben des Magazins Beleidigung von Staatspräsident Erdogan vorgeworfen wird.

Erdogan selbst sieht Yücel und andere inhaftierte Journalisten nicht als solche, sondern bezeichnet sie als „Terroristen“. Im März sagte Erdogan in einer Rede über Journalisten in türkischen Gefängnissen: „Unter ihnen ist alles vertreten, vom Mörder bis zum Räuber, vom Kinderschänder bis zum Betrüger.“ Die Frau des „Cumhuriyet“-Journalisten Kadri Gürsel, der seit November in Untersuchungshaft sitzt, twitterte daraufhin, ihr Sohn habe geweint, als er die Worte des Präsidenten gehört habe. An Erdogan gerichtet schrieb sie: „Ich erwarte eine Antwort. Was soll das heißen?“

Manche türkische Journalisten lassen sich dennoch nicht einschüchtern. Sie haben alternative Medien gegründet, wie das Nachrichtennetzwerk „dokuz8haber“ oder die Plattform Medyascope TV und versuchen, über soziale Medien Gehör zu finden. Die ehemalige IMC TV Moderatorin Banu Güven arbeitet seit der Schließung ihres Senders ebenfalls über soziale Medien weiter und betreibt unter anderem einen Podcast auf Facebook.

Dafür hat sie einen vom Magazin „Stern“ verliehenen Henri-Nannen-Sonderpreis erhalten. „Stern“-Chefredakteur Christian Krug sagte, man wolle damit an die Journalisten in der Türkei erinnern, „die unter den abenteuerlichsten Bedingungen und unter großer staatlicher Repression arbeiten müssen“.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort