Fragen und Antworten John Kerry und der schwierige Friedensprozess in Nahost

Tel Aviv (dpa) - Über eine Stunde lang sprach John Kerry über den Nahostkonflikt. Der scheidende US-Außenminister legte einen großen Rundumschlag hin, wie es zu einer Friedenslösung hätte kommen können, hätte er sich mit seinen Bemühungen durchsetzen können.

Fragen und Antworten: John Kerry und der schwierige Friedensprozess in Nahost
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Er warnte eindringlich vor einem Scheitern der Zweistaatenlösung und kritisierte die israelische Siedlungspolitik. Woran liegt es, dass alle Anläufe zur Lösung des Konflikts bisher scheiterten und es auch in den acht Jahren mit Barack Obama als US-Präsident keinen Durchbruch gab? Einige Fragen und Antworten:

Was ist die Essenz von Kerrys Rede?

Dass es ohne eine Zweistaatenlösung keinen Frieden geben könne. Kerry griff dabei erneut die seit längerem lancierten Ansätze auf: eine Vereinbarung auf der Grundlage der Grenzen von 1967 mit vereinbartem Landtausch, Jerusalem als Hauptstadt beider Staaten, die Forderung nach einem vollständigen Ende der Besatzung sowie eine Garantie für Israels Sicherheit.

Ausdrücklich machte er deutlich, dass der Ball bei den beiden Konfliktparteien liege. Und er sparte auch nicht mit Kritik an Israels Führung und ihrer Siedlungspolitik. Diese sei „die rechteste Regierung in der Geschichte des Landes“, erklärte er.

Welche Rolle spielte Kerry bei den Friedensbemühungen?

Er ermöglichte als Vermittler die vorerst letzten Friedensgespräche zwischen Israel und den Palästinensern. Für Kerry war es gewissermaßen eine Herzensangelegenheit. Neun Monate versuchte er mit aller Macht, eine Einigung zu ermöglichen. Frustriert musste er mit ansehen, wie seine Bemühungen im April 2014 ins Leere liefen.

Warum hängt sich der Außenminister jetzt - wenige Tage vor dem Regierungswechsel - noch einmal so rein, wenn er doch eigentlich nichts mehr tun kann?

Es geht auch darum, die Deutungshoheit zu gewinnen. Kerry hat deutlich gemacht, dass die Schuld am Scheitern der Friedensbemühungen nicht auf Seiten der USA zu suchen sei. Schon steht die Regierung des Republikaners Donald Trump in den Startlöchern und macht daraus keinen Hehl, in Bezug auf Israel und die Palästinenser einen gänzlich anderen Ansatz betreiben zu wollen. Israel schöpft Hoffnung auf den Republikaner. Mit seinem Rundumschlag auf den letzten Metern wirkt Kerry deswegen auch ein wenig verzweifelt und getrieben.

Warum ist die Friedenssuche in Nahost so extrem schwierig?

Vor mehr als zwei Jahrzehnten haben Israel und die Palästinenser ihre ersten Friedensverträge geschlossen. Ziel war unter anderem die Gründung eines friedlichen Palästinenserstaates, der Seite an Seite mit Israel existiert. Bis heute ist es beiden Seiten jedoch nicht gelungen, sich auf eine endgültige Beilegung ihres Konflikts zu einigen. Israel baut weiter in den Siedlungen, Palästinenser verüben immer wieder Anschläge auf Israelis. Als Hauptproblem gilt, dass das Maximum, das Israel bisher bei Verhandlungen zu geben bereit war, für die Palästinenser noch zu weit vom Minimum entfernt ist.

Was sind die Hauptstreitpunkte zwischen Israel und den Palästinensern?

Kernpunkte des Konflikts sind die Grenzziehung zwischen Israel und dem künftigen Staat Palästina, Sicherheitsgarantien für Israel, das Schicksal der heute rund fünf Millionen registrierten palästinensischen Flüchtlinge und die Ansprüche beider Seiten auf Jerusalem. Israel beansprucht ganz Jerusalem als seine unteilbare Hauptstadt, die Palästinenser wollen dagegen in dem von Israel besetzten arabischen Ostteil der Stadt die Hauptstadt ihres eigenen Staates ausrufen.

Warum scheiterten die letzten Verhandlungen?

Die Gespräche brachen im April 2014 zusammen, nachdem sich die gemäßigte Fatah des Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas und die mit Israel verfeindete Hamas auf die Bildung einer Einheitsregierung einigten. Israel kündigte nach einem Baustopp die Errichtung weiterer 700 Siedlereinheiten an und verzögerte die vereinbarte Freilassung palästinensischer Häftlinge. Kerry deutete an, Israel trage eine größere Verantwortung für das Scheitern.

Welche Rolle spielt die fortwährende Spaltung der Palästinenser im Friedensprozess?

Seit der gewaltsamen Machtübernahme der radikal-islamischen Hamas 2007 herrscht diese im Gazastreifen, die gemäßigtere Fatah im Westjordanland. Mehrere Anläufe zu einer Versöhnung und zu Neuwahlen brachten keinen bleibenden Erfolg. Die Spaltung der beiden größten Palästinenserorganisationen und deren seit Jahren fehlende Legitimierung durch demokratische Wahlen spielt Israel in die Hände. Die rechts-religiöse Regierung von Benjamin Netanjahu betont immer wieder, es gebe auf der palästinensischen Seite keinen echten Partner für eine Friedenslösung.

Was erhoffen sich die Palästinenser von der internationalen Friedenskonferenz am 15. Januar im Paris?

Die Palästinenser halten direkte Verhandlungen mit Israel ohne internationale Schirmherrschaft inzwischen für reine Zeitverschwendung. Sie werfen Israel vor, es wolle nur zum Schein verhandeln und währenddessen weiter seine Siedlungen in den Palästinensergebieten ausbauen. Seit einigen Jahren setzen die Palästinenser auf eine Internationalisierung des Konflikts. Dabei verbuchen sie Erfolge: Die Vereinten Nationen verliehen ihnen im November 2012 den Status eines Beobachterstaates. 2015 folgte der Beitritt zum Internationalen Strafgerichtshof (IStGH). Israel besteht jedoch auf direkten Gesprächen mit den Palästinensern und lehnt ein internationales „Diktat“ ab.

Warum fordert Israel von den Palästinensern eine Anerkennung als jüdischer Staat?

Für Netanjahu handelt es sich um ein Kernstück einer künftigen Friedensregelung. Aus seiner Sicht geht es bei dem Konflikt mit den Palästinensern weniger um Grenzen und Siedlungen als um eine „fortwährende Weigerung, den jüdischen Staat in irgendwelchen Grenzen anzuerkennen“. Er wirft den Palästinensern vor, sie forderten eine „ethnische Säuberung“ ihrer Gebiete von Juden, während Israel seine arabische Minderheit behalten solle. Die Palästinenser verweigern die Anerkennung, sprechen von einer inakzeptablen Forderung, mit der Netanjahu eine Einigung nur noch weiter erschweren wolle. Sie argumentieren, sie hätten Israels Recht auf ein Leben in Sicherheit und Frieden schon im Zuge der Friedensverträge von 1993 anerkannt. Mit einer Anerkennung Israels als Nationalstaat der Juden würden sie automatisch auf das Rückkehrrecht palästinensischer Flüchtlinge verzichten und die Rechte der arabischen Minderheit in Israel schmälern.

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