Havarie Italiens? Das Land bangt um seinen Ruf

Rom (dpa) - Steht die Havarie vor Giglio auch für den Zustand Italiens? Zwar befürchtet das Land einen weiteren Imageschaden. Schwerer wiegt aber die Angst, eine so schlimme Havarie könnte sich wiederholen.

Die spektakulären Bilder von dem gekenterten Kreuzfahrtschiff gingen um die Welt, die bizarren Äußerungen des beschuldigten Kapitäns Francecso Schettino auch. Jahrelang war es der Milliardär und Medienzar Silvio Berlusconi, der mit wilden Partys und losen Sprüchen auch über andere Politiker das Image Italiens im Ausland negativ prägte. Berlusconi ist zwar von dem so unitalienisch zurückhaltenden Mario Monti als Regierungschef in Rom abgelöst worden. Doch nun ein Schiffbruch als „Symbol des Landes beim Abdriften“? Auch wenn italienische Leitartikler dies so sehen: Größer scheint noch die Angst davor zu sein, dass sich Desaster wie das der „Costa Concordia“ wiederholen könnten - etwa in Venedig.

„Hier haben wir also einen Schettino, der die von Berlusconi hinterlassene Lücke auf dem Feld Blamagen und Lügen füllt und das Entsetzen der Welt auf sich vereint“, sorgt sich die liberale Turiner Zeitung „La Stampa“ um den Ruf von „Bella Italia“ auch in der Nach-Berlusconi-Ära. Kein Wunder, dass so viele Medien so breit den „einzigen Helden“ in diesem Drama feierten - Fregattenkapitän Gregorio De Falco, der wütend und entsetzt vom Hafenamt Livorno aus den Kapitän zurück zur Evakuierung auf das Schiff beordern wollte.

„Es scheint, dass Italien die Gabe habe, sich in spektakuläre Schwierigkeiten zu verfangen“, meint auch der angesehene Journalist und Autor Beppe Severgnini. Vom zum Himmel stinkenden Müll in den Straßen von Neapel bis zu den Bildern der vielen jungen Frauen, die zu „Bunga-Bunga“-Festen bei Berlusconi gewesen sein sollen - das ist das Image, das das auch noch extrem hoch verschuldete Land von sich nach draußen gesandt hat. Sicher sei Italien nicht das einzige Land, das in jüngster Zeit Probleme habe, relativiert Severgnini in der Mailänder Zeitung „Corriere della Sera“. Jedoch: „Gibt es südlich der Alpen Schwierigkeiten, dann produzieren diese aber jedenfalls perfekte Bilder für die Aufmacherseiten der Welt.“

Imageprobleme sind die Italiener gewohnt. Sie blicken bei der frühmorgendlichen Lektüre der Gratisblättchen aber eher stirnrunzelnd auf solche Fotos: „Schwimmende Hochhäuser“ unweit des Dogenpalastes in Venedig, riesige Kreuzfahrtschiffe ziemlich nahe auf nächtlicher Fahrt vor dem ostsizilianischen Syrakus oder auch an der kleinen Insel Procida vor der Einfahrt nach Neapel. Das Procida-Bild zeigt dabei die „Costa Concordia“ des Francesco Schettino.

Auch wegen der nicht auszuschließenden Umweltkatastrophe nach dem Schiffbruch der „Costa Concordia“ hat eine hitzige Diskussion über die Kreuzfahrtriesen eingesetzt. Umweltminister Corrado Clini will jetzt dagegen vorgehen, im Parlament in Rom kündigte er ein Gesetz an, das gefährliche Routen verbieten soll. Der Chef der Grünen (Verdi), Angelo Bonelli, warf dazu die Frage auf, wie es denn überhaupt möglich sei, dass Kreuzfahrtschiffe so nahe an die Küste ranfahren, ohne dass sie gestoppt werden oder das bestraft werde. Denn es scheint ein gewisser Brauch zu sein: Der Kapitän will seinen Passagieren nachts das Schauspiel einer erleuchteten Küste bieten, Schettoni wollte wohl seinem Oberkellner aus Giglio einen Gefallen tun.

Venedig kennt den Streit um Kreuzfahrtschiffe schon seit Jahren, das Unglück an der westitalienischen Seite gibt den Gegnern in der Lagunenstadt neuen Auftrieb. Bürgermeister Giorgio Orsoni verweist auf die gut eineinhalb Millionen Kreuzfahrtpassagiere jährlich in Venedig und auf gefährliche Wellen durch diese Schiffsriesen. Als Bürgermeister habe er aber keine Kompetenz über den Schiffsverkehr. Also laufen Verhandlungen mit den Hafenbehörden. Den Umweltminister auf seiner Seite will der Bürgermeister bis März eine Lösung auf dem Tisch haben: So dicht am Markusplatz vorbei sollen Kreuzfahrtschiffe nicht länger fahren. Die Havarie vor Giglio könnte ihm dabei helfen.

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