Wie die Russen wählen „Für Putin! Wen sonst?“

Moskau (dpa) - Die Zigarette schnippt er mit den Zeigefinger auf die Straße, dann startet Pawel Awraamow den Motor. Er macht sich auf den Weg zur Schule Nr. 1541 im Süden Moskaus, wo Tausende Russen am Sonntag ihre Stimme abgeben.

Wie die Russen wählen: „Für Putin! Wen sonst?“
Foto: dpa

Vor dem mit weiß-blau-roten Luftballons geschmückten Eingang dudeln alte sowjetische Schlager. Es ist nicht seine erste Station, der Koordinator einer Gruppe von Wahlbeobachtern ist schon seit dem frühen Morgen in der russischen Hauptstadt unterwegs. „So sinnlos die Wahl selbst auch ist: Wir wollen sicherstellen, dass sie so fair wie möglich ist“, sagte der 36-Jährige der Deutschen Presse-Agentur.

Awraamow tingelte den ganzen Tag durch die 20 Wahllokale in seinem Stadtteil, wo viele Anhänger der liberalen Kandidaten leben, dennoch aber ein Großteil der Wähler für den Amtsinhaber Wladimir Putin stimmen dürften. In ganz Russland waren Wahlbeobachter stationiert, die mögliche Fälschungen dokumentieren sollen. Sie arbeiteten mit der Nichtregierungsorganisation Golos zusammen, zu der auch Awraamow gehört.

Wie im ganzen Land gab es auch in der Moskauer Schule, in der schon am Morgen ziemlich viel los war, Auffälligkeiten: „Einige Männer mit schwarzen Jacken kommen hier schon zum dritten Mal her, um ihre Stimme abzugeben“, flüsterte Beobachterin Anna, von Beruf Ärztin, ihrem Koordinator zu. Auch in anderen Bezirken seien sie schon gewesen, hätten ihr Kollegen erzählt. Doch beweisen können sie ihren Verdacht zunächst nicht. Aber: Sie dokumentieren über den sicheren Messenger-Dienst Telegram ihre Beobachtung. Awraamow bemerkte gelassen: „Das Vorgehen überrascht mich überhaupt nicht. Der Sieg für Putin ist ja sicher, aber die Wahlbeteiligung ist es nicht.“

Die staatlichen Meinungsforschungsinstitute WZIOM und FOM hatten eine Beteiligung von gut 70 Prozent vorhergesagt. Der Politologe Andrej Kolesnikow bezweifelte aber, dass die Zahl realistisch ist. „Glauben Sie den Daten nicht“, sagte er. Zu schwach sei der politische Wettbewerb, zu vorhersagbar das Wahlergebnis, um die Menschen in die Wahllokale zu ziehen, sagte der Experte des Moskauer Carnegie Zentrums.

Neben Putin sind zwar sieben Herausforderer zugelassen, die aber keine Chance haben. Eine niedrige Wahlbeteiligung könnte den Mythos der triumphalen Zustimmung für Putin jedoch entlarven, sagen Kommentatoren.

Um das zu verhindern, greifen Wahlhelfer auch zu aggressiven Mitteln, sind sich Beobachter sicher. Schon im Vorfeld hatte auch die Wahlkommission massiv zum Urnengang aufgerufen. „Wir wählen den Präsidenten - wir wählen die Zukunft!“, schrieb die Behörde etwa als SMS an alle Handybesitzer Russlands.

Vor den Wahllokalen verteilten bei Sonnenschein und eisigen Temperaturen Soldaten warme Buchweizengrütze, Tee und Suppe. Besonders junge Wähler sollten nach Medienberichten angelockt werden: Wer am Sonntag ein Selfie vor dem Wahllokal machte, konnte sogar Smartphones gewinnen, hieß es.

Gerade junge Wähler waren die Zielgruppe des Boykott-Aufrufs von Kremlkritiker Alexej Nawalny. Doch Experte Kolesnikow hielt nichts von einem Boykott: „Wenn Putin-Gegner zu Hause bleiben, gehen Putin-Anhänger trotzdem zur Wahl.“ Dadurch werde das Ergebnis für den Amtsinhaber nur besser.

Für viele Bürger war es dennoch selbstverständlich, auch bei einem sehr erwartbaren Ergebnis ins Wahllokal zu gehen. „Das ist doch meine Bürgerpflicht. Ich stimme hier über die Zukunft meiner Heimat ab“, sagte die 31-jährige Natalja, während ihre Tochter im Schnee spielte.

Und für wen stimmten die Wähler in der Moskauer Schule? „Ich habe natürlich Putin gewählt. Mir gefällt, wie er redet“, sagte Rentnerin Jekaterina. Sie kaufte noch schnell Wurst an einem Lebensmittelstand, der die Wähler mit günstigen Preisen zur Stimmabgabe locken sollte. Ein Mann rief im Vorbeigehen: „Für Putin. Wen sonst?“

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