Fragen und Antworten Ein Giftanschlag eint den Westen

London/Moskau/Berlin/Washington (dpa) - Der Fall des in Großbritannien vergifteten Ex-Doppelagenten Sergej Skripal und seiner Tochter war eigentlich schon brisant genug. Russland wird dafür verantwortlich gemacht.

Fragen und Antworten: Ein Giftanschlag eint den Westen
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Eine überraschende gemeinsame, harte Erklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel, US-Präsident Donald Trump, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der britischen Premierministerin Theresa May geben der Affäre noch mehr internationale Brisanz. Fragen und Antworten zu Hintergründen:

Eine solche Erklärung des Westens gab es lange nicht. Weder in dieser Form noch in der Deutlichkeit. Es wird seit langem gesagt, dass es „den“ Westen nicht mehr gebe, dass er zerfalle in - zersplitterte - europäische Interessen hier und die USA unter Donald Trump dort. Die Wortwahl des Papiers legt nahe, dass man sich in Berlin, Washington, London und Paris seiner Vorwürfe sehr sicher ist.

Nein, aber nun sagt er selber: Es sieht so aus, als steckten die Russen hinter der Aktion in England. „Sehr traurig“ sei die Situation. Das wird kaum ohne Folgen bleiben können. Wenn Washington auf internationaler Bühne mit Vorwürfen russischen Fehlverhaltens konfrontiert wird, etwa in Syrien, sind daraus außer verbaler Missbilligung bislang keine konkreten Aktionen gefolgt.

Die Kanzlerin, Macron, May und Trump dürften seit Tagen an den harten Formulierungen gegenüber Moskau gefeilt haben. Merkel hat May am Dienstag angerufen - und hat wohl schon über eine gemeinsame Reaktion auf den Giftanschlag geredet. Was in Salisbury passiert sei, müsse sehr ernst genommen werden, deshalb habe sie May Unterstützung zugesagt, sagt die Kanzlerin am Mittwochabend bei ARD und ZDF.

Nach abgeschlossener Regierungsbildung sei es gut, dass Deutschland wieder voll handlungsfähig sei: „Dass wir auch in Europa einig uns aufstellen können gegenüber den Herausforderungen, die wir haben“, sagt Merkel. In den vergangenen Monaten sei Deutschland ja nicht gerade ein Partner gewesen, bei dem man genau gewusst habe, wie es weitergehe. Früher als Putin-Versteherin beschrieben, macht Merkel klar, wie dünn ihr Geduldsfaden mit Putin geworden ist.

Trotz des jahrelangen Ärgers über den russischen Präsidenten Wladimir Putin will die Kanzlerin ihre Taktik ihm gegenüber nicht grundlegend ändern. Man müsse „mit den russischen Verantwortlichen immer wieder sprechen, trotz aller Meinungsverschiedenheiten. Dabei setzt sie auch auf eine gemeinsame Haltung der EU beim Gipfel kommende Woche. Nato und EU geben bereits politische Rückendeckung. Die Nato-Partner verurteilten den Anschlag und versprachen Solidarität.

Das Attentat ist mit einem extrem gefährlichen Kampfstoff verübt worden, der zur Gruppe der Nowitschok-Nervengifte gehört. Sie wurden in der früheren Sowjetunion produziert. Premierministerin May sagte, dass es für sie nur zwei mögliche Erklärungen gibt: Entweder hat Moskau das Attentat verübt, oder es hat die Kontrolle über die gefährliche Substanz verloren.

Der Einsatz eines Nervengifts als Waffe ist ein Verstoß gegen die Chemiewaffenkonvention: Großbritannien kann schon bei einem Verdacht die OPCW einschalten. Sie muss binnen 24 Stunden den betreffenden Staat um Aufklärung bitten. Der hat dann zehn Tage Zeit, sich zu äußern.

Großbritannien und Russland schalten auf stur. London sieht Moskau in der Erklärpflicht und stellte ein 24-Stunden-Ultimatum. Russland sprach von einer „Zirkusnummer“, forderte vergeblich Proben des verwendeten Gifts und ließ die Frist verstreichen. London begründet sein Verhalten gegenüber Moskau mit der nationalen Sicherheit. Zudem sei man der Konvention zufolge nicht verpflichtet, Proben des Giftes an Russland auszuhändigen. Denkbar ist, dass London nicht sein ganzes Wissen preisgeben will. Großbritannien hat die OPCW am 8. März erstmals über die Attacke informiert. Unklar ist, ob damit ein offizielles Verfahren nach Artikel IX eingeleitet wurde. Wie der britische Außenminister Boris Johnson der BBC berichtete, wird die OPCW eine Giftprobe untersuchen.

Russland weist die Vorwürfe zurück und fordert von London Beweise. Diese Forderung gehört zugleich zur Abwehrstrategie. Denn Moskau weigert sich auch in anderen Fällen, Beweise oder belastende Indizien anzuerkennen - sei es beim Abschuss von Flug MH17 über der Ukraine 2014 oder in Syrien bei Giftgasangriffen der Regierungsarmee.

Der Streit mit Großbritannien fällt in die letzten Tage vor der russischen Präsidentenwahl. Moskau nutzt den internationalen Konflikt für markige Worten des gesamten außenpolitischen Personals. Botschaft an die Wähler: Russland wird vom Westen ungerechtfertigt angegriffen, aber Putin und seine Führung verteidigen das Land.

Nowitschok („Neuling“) wurde in den 1970er und 1980er Jahren in der Sowjetunion als chemischer Kampfstoff entwickelt. Es soll rund 100 Varianten geben. Es soll vielfach stärker wirken als herkömmliche militärische Gifte.

Der britische Verteidigungsminister Gavin Williamson sagte auf die Frage, ob es zu einem neuen Kalten Krieg kommen könnte: „Seien wir ehrlich, die Beziehungen sind nicht gerade gut, nicht wahr?“ Zunächst wird es wohl bei der Ausweisung von Diplomaten bleiben. Sollte London aber russisches Staatseigentum beschlagnahmen, zum Beispiel zur Botschaft gehörende Gebäude, dürfte Moskau harsch reagieren.

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