„Fiktion der Nichteinreise“ Ein Asylkompromiss mit Fragezeichen

Berlin (dpa) - Für die CSU ist es der bisher noch fehlende Baustein hin zu einer „Asylwende“. Von einem wichtigen Tag für Deutschland, aber auch für die Union, spricht Generalsekretär Markus Blume.

Für Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ist quasi die Quadratur des Kreises gelungen: eine Einigung im „Geist der Partnerschaft in der Europäischen Union“ und ein entscheidender Schritt, „um Sekundärmigration zu ordnen und zu steuern“. Doch der Unions-Kompromiss über den Umgang mit bestimmten Asylbewerbern steht bisher noch auf tönernen Füßen.

Was besagt der Kompromiss?

An der deutsch-österreichischen Grenze sollen Asylbewerber, für deren Asylverfahren andere EU-Länder zuständig sind, an der Einreise gehindert werden. Sie sollen in Transitzentren kommen, aus denen die Asylbewerber direkt in die zuständigen Länder zurückgewiesen werden. „Dafür wollen wir nicht unabgestimmt handeln, sondern mit den betroffenen Ländern Verwaltungsabkommen abschließen oder das Benehmen herstellen.“ Wenn Länder sich einer Rücknahme verweigern, soll „die Zurückweisung an der deutsch-österreichischen Grenze auf Grundlage einer Vereinbarung mit der Republik Österreich“ stattfinden.

Um wie viele Fälle geht es überhaupt?

Im laufenden Jahr wurden laut Medienberichten bis Mitte Juni 18 349 Asylsuchende in Deutschland aufgenommen, die bereits in der europäischen Fingerabdruckdatei Eurodac erfasst waren - also woanders schon registriert wurden. Es geht also gar nicht um besonders viele Fälle, aber der CSU ging es auch um ein Zeichen, dass der Staat nach den Turbulenzen 2015, die Merkel zur „Flüchtlingskanzlerin“ machten, zeigt, dass er an den Grenzen stärker durchgreift. „Die Sicherheit unseres Landes beginnt an der Grenze“, betont CSU-General Blume.

Warum haben sowohl Seehofer als auch Merkel etwas „gewonnen“?

Seehofer wollte eine Zurückweisung direkt an der Grenze, auch wenn die Länder, wo der Asylbewerber bereits mit Fingerabdrücken registriert ist, diesen nicht zurücknehmen. Merkel wollte keinen nationalen Alleingang und Lösungen mit den europäischen Partnern. Die Sorge ist, dass sonst alle nach und nach die Grenzen dicht machen - das Prinzip der EU-Freizügigkeit wäre ausgehebelt. Nun wird das juristische Konstrukt der „Fiktion einer Nichteinreise“ betont.

Was hat es damit auf sich?

In der entsprechenden Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz heißt es: „Der Ausländer hat eine Grenzübergangsstelle erst dann passiert, wenn er die Kontrollstationen der Grenzpolizei und des Zolls, soweit an den EU-Außengrenzen vorhanden, hinter sich gelassen hat und sich frei in Richtung Inland bewegen kann.“ Kommt er in ein Transitzentrum, ist die Person im juristischen Sinne nicht eingereist, auch wenn sie körperlich die Kontrollstationen passiert hat.

Warum ist hier auch vom Flughafenverfahren die Rede?

Die Formulierung erinnert an das Prozedere an Flughäfen. Es greift für Asylbewerber, die aus einem als sicher eingestuften Land mit dem Flugzeug nach Deutschland kommen. Im Flughafenverfahren ist „das Asylverfahren vor der Entscheidung über die Einreise durchzuführen“, wie es im Asylgesetz heißt. Der Anspruch auf ein reguläres Asylverfahren entsteht erst mit dem Aufenthalt in einem Land. Auf diese Weise ermöglicht das Flughafenverfahren beschleunigte Entscheidungen und Rückweisungen. So ähnlich soll es wohl in den Transitzentren laufen. Das legt allerdings nahe, dass Migranten diese auch nicht verlassen können, sondern dort interniert werden sollen.

Kommen damit keine unberechtigten Asylbewerber mehr nach Deutschland?

Nein. Erstens geht es nur um die deutsch-österreichische Grenze und dort wird aktuell nur an drei Stellen kontrolliert sowie bei der Schleierfahndung im Hinterland. Es ist schwer vorstellbar, dass Menschen, die schon Kilometer von der Grenze entfernt auf deutscher Seite aufgegriffen werden, in Transitzentren kommen können - sie haben ja längst deutschen Boden betreten. Viele Migranten, die nach Deutschland kommen, sind zudem zuvor gar nicht in anderen EU-Ländern registriert worden. Zudem ist laut dem CDU-Vizevorsitzenden Armin Laschet keine Ausweitung der Kontrollen geplant. Auch an Grenzen Deutschlands zu anderen Nachbarländern solle sich nichts ändern.

Welche Rolle spielt Österreich?

Es geht nur um Migranten, die an der bayerisch-österreichischen Grenze aufgegriffen werden. Österreich soll all jene Migranten aufnehmen, die aus Ländern kommen, die keine Verwaltungsabkommen über die direkte Zurückweisung aus Deutschland abschließen wollen. Was Wien davon hält, ist noch unklar. Das Abkommen soll noch ausgehandelt werden.

Wo steckt noch Zündstoff drin?

Die Formulierungen sind interessant. „Asylbewerber, für deren Asylverfahren andere EU-Länder zuständig sind“, sollen an der Einreise gehindert werden, heißt es in dem Unionspapier. Das scheint aber weniger weitreichend als Seehofer es stets gefordert hatte: Der CSU-Innenminister wollte all jene zurückschicken, die in anderen EU-Staaten schon mit Fingerabdrücken registriert sind. Eine reine Registrierung bedeutet aber nicht automatisch, dass dieses Land für das Asylverfahren auch zuständig ist. Die Dublin-Verordnung sieht eine Zuständigkeitsprüfung vor, dabei spielen auch andere Kriterien wie der Aufenthaltsort von Familienangehörigen eine große Rolle.

Nun ist die SPD am Zuge, wird sie zustimmen?

Das ist die große Frage. 2015 lehnte die Partei in der damaligen großen Koalition Transitzentren eindeutig ab, der SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel sprach von „Haftzonen“, das sei weder organisatorisch durchführbar noch rechtlich darstellbar. Nun geht es aber nicht pauschal um die meisten ankommenden Flüchtlinge, sondern um relativ wenige Fälle ohne Bleibeperspektive. Die SPD will eine Beschleunigung dieser Verfahren, von etwa einer Woche Aufenthalt ist die Rede. Die Parteilinke dürfte den Vorschlag als inhuman ablehnen. Geschlossene Lager sind für viele Genossen ein Tabu. Aber die Alternative könnte ein Koalitionsbruch und eine Neuwahl sein - das könnte disziplinierend wirken. Es könnte der alte Willy-Brandt-Spruch bei der SPD zum Tragen kommen: „Erst das Land, dann die Partei.“

Hat sich der ganze Ärger für die CSU gelohnt?

Das wird wohl erst die bayerische Landtagswahl am 14. Oktober zeigen. Seehofer hat wohl weniger herausgeholt, als er ursprünglich plante. Andererseits wäre es ohne den Druck aus Bayern wohl kaum zu der beim EU-Gipfel vereinbarten weiteren Verschärfung der europäischen Asylpolitik mit einem Maßnahmenpaket gegen die hohe Zahl an Mittelmeerflüchtlingen gekommen. Das Gleiche gilt für die von Kanzlerin Merkel geplanten bilateralen Abkommen mit anderen europäischen Staaten zur Rücknahme von Migranten.

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