dpa-Interview: „Der Erste ist der Königsmörder“

München (dpa) - Der Münchner Unternehmensexperte Manuel René Theisen kritisiert im spektakulären Steuerprozess um Uli Hoeneß das abwartende Verhalten des Aufsichtsrats des FC Bayern scharf.

dpa-Interview: „Der Erste ist der Königsmörder“
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Der 61-Jährige geht sogar noch einen Schritt weiter. „Ich würde Herrn Hoeneß raten, von sich aus bis zum Ende der Woche seinen Rücktritt nicht nur anzubieten, sondern durchzuführen“, sagte Theisen der Nachrichtenagentur dpa in einem Interview.

Frage: Der Aufsichtsrat des FC Bayern hält vorerst an Hoeneß fest und möchte ein rechtskräftiges Urteil abwarten. Wie bewerten Sie das?

Antwort: Das ist unmöglich. Bis zu einem rechtskräftigen Urteil könnten drei bis vier Jahre vergehen. Beispielsweise wenn Hoeneß in Revision geht, damit muss man ja rechnen. Also ist das nicht nur die feigste, sondern schlicht die unmöglichste aller Begründungen.

Frage: Warum hält sich der Aufsichtsrat denn so zurück?

Antwort: Der Aufsichtsrat ist total falsch besetzt. Da sitzen praktisch nur Sponsoren drin, die Verträge mit der FC Bayern AG haben. Die haben Angst um ihr Geld und dass die Fangemeinde sie boykottiert. Keiner will Hoeneß zu früh fallen lassen. Das ist die blanke ökonomische Angst. Und das ist wiederum schiere Kalkulation.

Frage: Wie lange wird der Aufsichtsrat noch an Hoeneß festhalten?

Antwort: Der Erste ist der Königsmörder. Wenn der blank gezogen hat, fallen die anderen um wie die Dominosteine. Aber der Erste will keiner sein. Der Fall bereitet den Unternehmen massive Probleme.

Frage: Welche Probleme meinen Sie?

Antwort: Jeder Mitarbeiter der Telekom denkt sich: Ich werde bestraft, wenn ich eine Semmel klaue. Und mein Chef sitzt mit einem Steuerhinterzieher auf der Aufsichtsratsbank. Das ist schon ein massives Problem. Die Glaubwürdigkeit bleibt auf der Strecke.

Frage: Ist Hoeneß als Vorsitzender des Aufsichtsrats noch tragbar?

Antwort: Ich würde Herrn Hoeneß raten, von sich aus bis zum Ende der Woche seinen Rücktritt nicht nur anzubieten, sondern durchzuführen. Alles andere ist nur noch peinlich. Er düpiert ansonsten alle Aufsichtsratsmitglieder, die ja auch alle seine Vertragspartner sind. Sollte er dies nicht tun, zwingt er sie zum Rücktritt.

Frage: Wie meinen Sie das?

Antwort: Das ist ganz klar. Wenn er bleibt und keine Einsicht zeigt, müssten nach meiner Einschätzung alle anderen Mitglieder des Aufsichtsrats kollektiv ihren Rücktritt einreichen. Ein Verbleib ist nach meinem Dafürhalten und nach den Compliance-Richtlinien aller großen beteiligten Unternehmen schlichtweg ausgeschlossen. Denn in den Richtlinien steht: Jede Zusammenarbeit mit jemandem, der sich eines schweren Gesetzesbruches schuldig gemacht hat, ist ausgeschlossen. Noch dazu als Vertragspartner und als Gesellschafter.

Frage: Spielt das Urteil dann überhaupt noch eine Rolle?

Antwort: Nein. Es geht nicht darum, dass jemand entdeckt oder verurteilt werden muss, Steuern hinterzogen zu haben. Hoeneß hat ja zugegeben und vor Gericht bestätigt: Ja, ich habe 27,2 Millionen Euro Steuern hinterzogen. Selbst wenn er straffrei davon kommen sollte, bleibt die Tatsache der Steuerhinterziehung in Millionenhöhe bestehen.

ZUR PERSON: Manuel René Theisen ist Unternehmensexperte. Der 61-Jährige ist Herausgeber der Fachzeitschrift „Der Aufsichtsrat“. Von Lehrstuhlverpflichtungen an der Ludwig-Maximilians-Universität München ist Theisen auf eigenen Wunsch derzeit beurlaubt.

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