Zu Gast in „E-Estonia“ Digitales Europa: Sechs Dinge zum EU-Gipfel

Tallinn (dpa) - Digitales Europa - das ist für Estland das Topthema seiner EU-Präsidentschaft im zweiten Halbjahr 2017. Der Baltenstaat selbst organisiert den Alltag seiner Bürger schon weitgehend über digitale Dienste und das Internet und sieht sich als Vorreiter.

Zu Gast in „E-Estonia“: Digitales Europa: Sechs Dinge zum EU-Gipfel
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Beim EU-Digitalgipfel tat die Regierung des kleinen Landes alles, die EU-Partner mitzureißen - um sie zu begeistern für die enormen wirtschaftlichen Chancen einer digitalisierten Wirtschaft und zu sensibilisieren für Sicherheit im Cyberspace.

WELCOME TO E-ESTONIA: Estland nennt sich selbst „E-Estonia“ und sieht sich als Vorzeigeland für den digitalen Fortschritt. 2005 wurde es zum weltweit ersten Land, in dem Bürger online wählen konnten. Heute können die rund 1,3 Millionen Esten im Alltag fast alle Behördengänge mit ein paar Mausklicks über das Internet erledigen. Dadurch spart die Ostseerepublik nach Angaben der Regierung in Tallinn jeden Monat einen Papierberg, der so hoch ist wie der Eiffelturm.

DIGITALES EUROPA: Eines der Hauptziele Estlands ist ein digitales Europa. „Europa muss an der Spitze stehen, um grundlegende und bahnbrechende Technologien für unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft und unsere Sicherheit zu entwickeln“, betonte Regierungschef Jüri Ratas. Dazu nötig seien eine schnelle digitale Infrastruktur und entsprechende Gesetze. „Wir möchten, dass die Freizügigkeit für Daten die fünfte Grundfreiheit der EU wird“, sagt der Este. Bis Ende 2018 soll der digitale Binnenmarkt umgesetzt werden. Dies könnte nach Angaben aus Tallinn die Wirtschaftsleistung in Europa um 400 Milliarden Euro erhöhen und Tausende neuer Jobs schaffen.

WAS DIE EU-KOMMISSION DAVON HÄLT: Die EU-Kommission unterstützt das Ansinnen. Digitalisierung sei die DNA Estlands und müsse auch Teil der europäischen DNA werden, sagt EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker. Doch mitunter präsentiert sich die EU-Kommission selbst nicht besonders fortschrittlich. Juncker etwa besitzt bis heute kein Smartphone. Und der EU-Digitalgipfel der Staats- und Regierungschefs selbst war ebenfalls analog, von Angesicht zu Angesicht - statt etwa den in Estland entwickelten Internettelefondienst Skype zu nutzen.

DIE DEUTSCHE POSITION: Die Wirtschaftsmacht Deutschland ist noch nicht ganz in der digitalen Welt angekommen und hinkt in internationalen Vergleichen oft hinterher. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Digitalisierung deshalb zur Chefsache erklärt und sieht Estland als Vorbild. Auch sie will das digitale Europa. „Wenn wir den digitalen Binnenmarkt nicht schaffen, werden wir vom Rest der Welt abgehängt“, sagte Merkel.

WAS DIE ANDEREN EU-STAATEN DENKEN: Trotz Bekenntnissen für mehr Digitalisierung hapert es in vielen EU-Mitgliedsstaaten mit der Umsetzung. Dabei ist die Furcht vor einer Lockerung des Datenschutzes eine hohe Hürde - die Empfindlichkeiten sind sehr unterschiedlich. Häufig mangelt es zudem an der nötigen IT-Infrastruktur.

Auch laufen die politischen Interessen in der EU auseinander: Streit etwa gibt es um den Vorstoß Deutschlands und anderer Länder für eine stärkere Besteuerung global agierender Internetgiganten. Österreich setzte sich in Tallinn dafür ein, Irland hielt vehement dagegen.

Einig ist man sich hingegen darüber, mehr im Kampf gegen Angriffe aus dem Internet unternehmen zu müssen. „Zunehmend sehen wir feindliche Cyberaktivitäten, die unsere demokratischen Institutionen, unser Finanzsystem und unsere öffentlichen Sektoren bedrohen. Wir müssen unsere Zusammenarbeit verstärken“, betonte die britische Premierministerin Theresa May.

HAT EUROPA DENN KEINE ANDEREN PROBLEME? Doch. Und zwar zur Genüge. Auf den Tisch kamen sie bei einem informellen Abendessen. Dennoch war das Thema des Digitalgipfels bewusst gewählt. „Die digitalen Entwicklungen verwandeln jeden Aspekt unseres Lebens und der Gesellschaften“, meint Gastgeber Ratas. „Es steht außer Frage: Die Zukunft ist digital - 100 Prozent.“

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