Häfen dicht für Flüchtlinge Die italienische Wende

Rom (dpa) - Die Sonne brennt. Auch auf dem offenen Meer fällt es schwer durchzuatmen. Es gibt kaum Ecken, die Schatten spenden. Und Rückzugsorte gibt es gar nicht.

Häfen dicht für Flüchtlinge: Die italienische Wende
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Wer schonmal an Bord eines Rettungsschiffs war, weiß, wie sich ein Tag im Juni dort anfühlt. Seit Sonntag harren Hunderte Migranten auf der „Aquarius“ im Mittelmeer aus, mit ihnen ein Dutzend Helfer. Ein Ende ist noch nicht in Sicht. Mehrere Tage wird es dauern, bis das Schiff die spanische Ostküste in 1500 Kilometern Entfernung erreicht. Denn Italien hat dicht gemacht - erstmals.

Die einen halten den Zug der neuen Regierung in Rom für unmenschlich. Die anderen haben Verständnis, weil das Land im Mittelmeer all die Jahre allein gelassen wurde mit dem Andrang abertausender Migranten. Manche klatschen in die Hände: Endlich sitzen in Italien Politiker am Hebel, die Migranten nicht mehr ins Land lassen wollen und damit auch nicht mehr in die EU. Politiker, die die Arbeit der Hilfsorganisationen, die Schiffbrüchige im Meer vor Libyens Küste aufnehmen, behindern.

Die erstmalige Abweisung eines Rettungsschiffs ist eine Strategie, die wirkungsvoller nicht sein könnte. Warum lange reden? Das ist das Signal, das allen voran Italiens neuer fremdenfeindlicher Innenminister Matteo Salvini an Europa sendet. Im Ausland fiel vielleicht gar nicht auf, an welchem Tag er rief: Schließen wir die Häfen! Es war am Sonntag - und viele Italiener waren zu Teilkommunalwahlen aufgerufen. Die Mitte-Rechts-Parteien, allen voran die Lega, gingen als klare Sieger hervor.

Ein Politiker wie Salvini - gerade mal zehn Tage im Amt - beweist, dass Kehrtwenden möglich sind. Seine Blockade ist ein Kontrast zu jenen, die verhandeln, abwägen, gemeinsame Lösungen suchen. Mit seiner Aktion setzt er vor allem die europäische Staatengemeinschaft unter Druck. Denn in der EU wird seit Jahren über eine Reform der Asylpolitik verhandelt - ohne Erfolg. Die Forderung des Vizepräsidenten der EU-Kommission, Frans Timmermans, geht da am Dienstag als eine von vielen fast unter. „Wichtige Entscheidungen brauchen zwar Zeit, aber wir können Entscheidungen nicht unbegrenzt aufschieben.“

Dass Italien überhaupt zu einer Machtdemonstration wie dieser greift, zeigt, dass allzu lange nichts geschehen ist. „So schockierend es sein mag, Italiens Verhalten ist eine starke Reaktion auf die Trägheit der anderen EU-Länder“, schreibt die französische Zeitung „L'Alsace“. Derzeit ist die Situation allerdings komplett festgefahren, eine Lösung bis zum EU-Gipfel Ende des Monats scheint aussichtslos.

Italien fühlt sich seit langem in der Flüchtlingskrise allein gelassen und fordert eine gerechte Umverteilung auf alle EU-Länder. Allerdings ist es Deutschland, das im vergangenen Jahr mehr Menschen Asyl oder einen anderen Schutzstatus gewährt hat als alle anderen 27 EU-Staaten zusammen. 60 Prozent der positiven Entscheidungen in der Europäischen Union seien in der Bundesrepublik getroffen worden, teilte das europäische Statistikamt Eurostat mit.

Die rechten und nationalkonservativen Regierungen in Ungarn und Polen wehren sich massiv gegen die verbindliche Aufnahme von Flüchtlingen. Nun macht auch Österreich gegen die verpflichtende Umverteilung mobil. Bundeskanzler Sebastian Kurz erklärte den Schutz der Außengrenzen zur Schicksalsfrage der EU.

Die Regierung in Rom setzt an der Stelle an, von der sie weiß, dass sie am verwundbarsten ist: Den Hilfsorganisationen, die bereits der Vorgängerregierung ein Dorn im Auge waren. Viele halten sie für einen der Gründe, weshalb sich so viele Migranten auf die wackeligen Boote wagen - weil sie wüssten, dass sie gerettet und nach Europa gebracht würden.

Lautet das Kommando der Seenotrettungsleitstelle in Rom nun öfter Kurs auf Spanien, wird es eng für die spendenfinanzierten NGOs: Nicht nur die deutlich höheren Spritkosten für längere Fahrten würden die gemeinnützigen Organisationen an ihre Grenzen bringen. Schon jetzt kreuzen deutlich weniger humanitäre Schiffe vor der libyschen Grenze im Mittelmeer.

„Im Gegensatz zu über zehn Schiffen im vergangenen Jahr stehen aktuell nur noch fünf Schiffe insgesamt zur Verfügung“, sagt der Sprecher der deutschen Organisation Sea-Watch, Ruben Neugebauer. „Sollte die zivile Rettungsflotte nun weiter geschwächt werden, droht uns eine ähnliche Situation wie 2015 - mit tödlichen Konsequenzen.“ Nach dem Ende der italienischen Such- und Rettungsmission „Mare Nostrum“ hatte es 2015 zwei verheerende Schiffbrüche gegeben.

Die harte Hand gegen die privaten Retter täuscht darüber hinweg, dass auch der italienischen Regierung Mittel und Wege fehlen, die Flüchtlingskrise zu lösen. „Glauben Sie wirklich, dass das Bauen von Zäunen und das Ablehnen von Schiffen zu einer Lösung führen wird?“, fragte auch der EU-Kommissions-Vize Timmermans. In Italien werden weiter Menschen an Land gehen. Wie am Dienstag, als ein Schiff der italienischen Marine mit fast 1000 Menschen an Bord auf Sizilien ankommen sollte.

Bilder von Menschen in Schlauchbooten auf dem offenen Meer und von überfüllten Rettungsschiffen haben sich eingebrannt in das nationale Bewusstsein Italiens. Da gerät schnell in Vergessenheit, dass das akute Problem derzeit nicht die Zahl der Ankömmlinge ist, die so niedrig ist wie seit Jahren nicht mehr. Der Umgang mit den Menschen, die bereits da sind, die Unterbringung, die Bearbeitung der Asylanträge - all das sind Dinge, die die neue Regierung angehen muss. Salvini versprach immer wieder, „alle Illegalen“ abzuschieben. Doch so einfach wie ein Rettungsschiff aufzuhalten, ist das nicht.

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