Dichtung oder Wahrheit? Babyboom nach Naturkatastrophen

Berlin (dpa) - Überflutungen, Schneestürme, flächendeckender Stromausfall: Immer wieder heißt es, dass neun Monate nach Katastrophen mehr Babys geboren würden. Statistisch ist ein solcher Zusammenhang allerdings schwer zu beweisen.

Fragen und Antworten:

Was sagen die Zahlen?

Neun Monate nach den beiden spektakulären New Yorker Blackouts von 1965 und 1977 berichteten die Medien über Kreißsäle, in denen es dreimal so viele Geburten gegeben haben soll wie zuvor. Statistiker jedoch sagen, dass sich daraus kein allgemeiner Babyboom ableiten lasse. Ausreißer an einzelnen Krankenhäusern seien etwas völlig Normales. Die Gesamtstatistik für den jeweils infrage kommenden Geburtenzeitraum habe keine ungewöhnlichen Abweichungen ergeben. Dasselbe gilt für das Schneechaos, das Ende 2005 das Münsterland tagelang lahmlegte. Vereinzelte Boom-Zahlen aus einigen Krankenhäusern wurden später in der Gesamtrückschau vom Statistischen Landesamt widerlegt.

Bringen Katastrophen Menschen näher zusammen?

Das hängt von der erlebten Bedrohung ab. Als neun Monate nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in einem Hospital bei New York mehr Babys als im Vorjahr geboren wurden, kommentierte eine US-Soziologin: „Lebe jetzt und bezahle für die Konsequenzen später“. Ein solches Verhalten ist auch aus der Geschichte bekannt, findet sich etwa in der wilden Lebensgier angesichts drohender Seuchen im Mittelalter. Auch Naturvölker pflegten Rituale, die nach einer Katastrophe die Gemeinsamkeiten betone und selbst verfeindete Gruppen zusammen rücken lasse, sagt die Berliner Ethnologin Prof. Undine Frömming. Hier sind jedoch Existenzängste im Spiel, die bei einem Stromausfall, der nicht als lebensbedrohlich erlebt wird, kaum zum Tragen kommen dürften.

Gibt es Beispiele dafür aus der Ethnologie?

Nach einem Vulkanausbruch in Südostasien beispielsweise rufen Clanälteste auch verfeindete, entfernt lebende Clangruppen zusammen, um mit gemeinsamen Ritualen die Ahnen und Naturgewalten gnädig zu stimmen, berichtet Frömming. Dabei werde nicht nur ausgiebig getrunken, es würden auch Nachkommen gezeugt. Und gehe es um die Frage, welches Verhalten des Einzelnen eine solche Katastrophe künftig verhindern könne. „Im übertragenen Sinne also durchaus die Frage, die man sich heute stellt, wenn man die Rolle des Klimawandels für Naturkatastrophen überdenkt“, sagt Frömming.

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