Analyse: Welle der Empörung wird Gefahr für Alice Schwarzer

Köln (dpa) - Deutschlands bekannteste Frauenrechtlerin Alice Schwarzer greift Missstände und ihre Gegner scharfzüngig an - kompromisslos und gerne öffentlichkeitswirksam. Seit Jahrzehnten kämpft sie für Gleichberechtigung, Chancengleichheit, Gewaltfreiheit und bezeichnet sich selbst als Humanistin.

Analyse: Welle der Empörung wird Gefahr für Alice Schwarzer
Foto: dpa

Vielen ist sie Vorbild, moralische Instanz. Nun räumt die 71-Jährige nach einem „Spiegel“-Bericht ein, jahrzehntelang ein nicht-deklariertes Schweizer Konto geführt zu haben. Dass jetzt über ihre Steuerhinterziehung landauf, landab berichtet wird, empfindet die gefragte Publizistin als Rufmord und Denunzierung.

Schwarzer ist Gegenwind gewohnt, kennt Häme und Beleidigungen. Kritik und Spott lassen erwartungsgemäß auch diesmal nicht auf sich warten. Nun droht aber ein echter, großer Imageschaden. Nach FC-Bayern-Präsident Uli Hoeneß - gegen ihn beginnt im März ein Prozess wegen Steuerhinterziehung - und dem gerade wegen Steuerhinterziehung verurteilten früheren „Zeit“-Herausgeber Theo Sommer hat Deutschland einen weiteren prominenten Fall von Steuerbetrug.

Die Angelegenheit hat für Schwarzer - sie hat 200 000 Euro Steuern für zehn Jahre nachgezahlt - keinerlei rechtliche Konsequenzen, stellt Professor Joachim Englisch klar, Steuerexperte der Uni Münster. Wirtschaftsethiker Professor Matthias Fifka ergänzt aber: „Auch mit der Steuernachzahlung wird der Tatbestand der Steuerhinterziehung nicht aufgehoben.“

Pikant: Schwarzer hat Steuern hinterzogen in einer Zeit, in der sie auch öffentliche Fördermittel für ihr feministisches Archiv FrauenMediaTurm bezog. „Das ist schon eine gewisse Doppelmoral, wenn man einerseits Steuern hinterzieht und andererseits Steuermittel einfordert“, meint Fifka.

Bis 2013 hat die Kölner Journalistin Archiv-Unterstützung aus der NRW-Kasse erhalten - einst 210 000 Euro, dann zuletzt noch 70 000 Euro. Als Nordrhein-Westfalen ankündigte, ihr die Mittel ab 2014 ganz zu streichen, warf Schwarzer Regierungschefin Hannelore Kraft (SPD) lautstark Wortbruch vor.

Der Bund sprang 2012 ein und wird laut Familienministerium noch bis 2016 zahlen - insgesamt 600 000 Euro, wie Sprecher Marc Kinert in Berlin sagt. Dabei bleibt es auch nach den Enthüllungen. „Nur wenn die Fördergelder zweckentfremdet würden, könnte der Bescheid widerrufen und die Fördergelder gegebenenfalls zurückgefordert werden.“

Die Welle der Empörung, die über Schwarzer hereinbricht, ist riesig - und häufig bemängelt wird dabei: Die Chefin des feministischen Magazins „Emma“ habe sich gegenüber dem ehrlichen Steuerzahler einen Vorteil verschafft. Das Schweizer Konto führte sie nach eigenen Angaben seit den 80er Jahren. Dort habe sie ihr versteuertes Einkommen angelegt, ohne für Zinsen und Zinseszinsen die fälligen Steuern zu entrichten. Nachgezahlt hat sie aber nur für zehn Jahre, weil Steuerhinterziehung dann verjährt.

„Bombengeschäft für Schwarzer“, schrieb die „taz“. Ein ironischer Kommentar auf Twitter: „45 Jahre Zeigefinger, 30 Jahre Steuern hinterziehen, 20 Jahre steuerfrei, zehn bezahlen. Ich weiß auch nicht, wieso man Schwarzer kritisiert.“ Auch der „Spiegel“ sieht einen hohen finanziellen Profit für die 71-Jährige, weil sie nicht für den gesamten Zeitraum nachgezahlt habe. „Sie hatte nicht die Größe, dieses Geld nun freiwillig zu erstatten oder für einen guten Zweck zu spenden.“ Schwarzer habe „ihre Ehre verloren, solle stumm werden „vor Scham“, statt zu lamentieren über „angeblichen Moralverfall der Presse.“

Wirtschaftsethiker Fifka mahnt allerdings: Im Fall Schwarzer sei eindeutig das Steuergeheimnis verletzt worden, das ausdrücklich auch bei Steuerhinterziehung gelte. Es rangiere deutlich höher als das potenzielle öffentliche Interesse an der Berichterstattung über Prominente.

Die Schilderungen kommen zu einer ungünstigen Zeit, gerade lief es gut für Schwarzer. Mit ihrer Kampagne gegen Prostitution hat sich die Autorin viel Gehör und Respekt verschafft. Ihren Appell gegen Prostitution unterschrieben innerhalb weniger Monate etwa 10 000 Menschen, auch viele Prominente. Einer Allensbach-Umfrage im Auftrag der „Emma“ zufolge ist Schwarzer für jede vierte Frau und jeden achten Mann ein Vorbild - so war es jedenfalls im vergangenen Sommer.

Nun mehren sich die Stimmen, die Alice Schwarzer auffordern, ihr Bundesverdienstkreuz zurückzugeben. In einer Online-Petition unterzeichneten Hunderte am Tag nach der Enthüllung und der Erklärung der Journalistin einen Text, nach dem Schwarzer der Bundesrepublik mit ihrem Steuerfall geschadet habe. Trotz ihrer Verdienste um die Gleichberechtigung der Frau solle sie das Verdienstkreuz zurückgeben. Die 71-Jährige ist auch Trägerin der NRW-Staatspreises. Zum Fall Schwarzer wollte sich die Staatskanzlei in Düsseldorf zunächst nicht äußern.

Schwarzer sieht sich als Opfer. „In dem Präzedenzfall Schwarzer wird in Sachen Persönlichkeitsschutz eh schon die Latte noch niedriger gehängt. Illegal? Persönlichkeitsverletzung? Na und!“, schrieb sie im „Emma“-Blog. Sie habe ihr Schweizer Konto aufgelöst. „Inzwischen ist alles legal.“ Der Fehler sei bereinigt. Doch der sogenannte Shitstorm im Netz und die breite gesellschaftliche Debatte zeigen: Dieser Fall ist noch längst nicht erledigt.

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