Analyse: Wahlkämpfer Obama - populistisch und offensiv

Washington (dpa) - Der Wahlkämpfer Barack Obama ist zurück. Aber mit dem Präsidentschaftskandidaten von 2008 hat er nicht mehr viel gemein.

Seine letzte Rede zur Lage der Nation in dieser Amtszeit machte es klar: Der Obama von heute will nicht mehr vordringlich die politische Spaltung im Land überwinden, sondern sich als starken Kontrast zu den Republikanern für den Wahlkampf positionieren.

Er präsentiert sich als ein Kämpfer für den einfachen Bürger, die Konservativen als Beschützer einer reichen Minderheit. Statt „Wandel“ lautet seine Botschaft nun „Gerechtigkeit“.

Selbstsicher und entschieden wie lange nicht mehr stellte Obama sein Volk vor die Wahl: „Wir können uns entweder mit einem Land zufriedengeben, in dem es einer schrumpfenden Zahl von Leuten wirklich gut geht, während eine wachsende Zahl von Amerikanern kaum über die Runden kommt“, sagte Obama. „Oder wir können eine Wirtschaft wiederherstellen, in der jeder eine faire Chance erhält, jeder seinen fairen Beitrag leistet und jeder sich an dieselben Regeln hält.“

Am Rednerpult im Kapitol stand am Dienstag nicht wie so häufig zuvor ein professoraler Obama, der abwägend nach Kompromissen sucht, sondern ein Präsident, der mit einer der wichtigsten Reden in seiner Karriere den harten Kampf ums Weiße Haus eröffnete. „Der Ton war schärfer und er war viel mehr bereit, Vorwürfe zu machen“, kommentierte die „New York Times“ am Mittwoch. Seine Angriffsziele: blockierende Republikaner im Kongress, ausbeuterische Banker, Unternehmen, die Jobs ins Ausland verlagern, und Beschützer sozial ungerechter Steuersysteme. Unbequeme Themen wie die hohen Staatsschulden ließ er dabei einfach aus.

So „hart und überzeugend“ wie selten zuvor seir der rund einstündige Auftritt zur Hauptfernsehsendezeit gewesen, lobte der erfahrene Politstratege Joe Trippi hinterher. Populistisch und inhaltsleer, kritisierte dagegen das konservative „Wall Street Journal“.

Vor allem war es ein Befreiungsschlag: Die US-Wirtschaft dümpelt weiter vor sich hin, die Arbeitslosigkeit ist trotz leichten Aufwindes weiter viel zu hoch und Obamas Umfragewerte sind im historischen Vergleich noch immer mies. Die große Chance wie am Dienstag, dem Volk in einem Solo-Auftritt seine Wahlkampf-Kernbotschaften zu vermitteln, wird er kaum noch mal bekommen.

So griff er - wie selbst Gegner ihm bescheinigten - zu seiner stärksten Waffe, zu rhetorischer Brillanz. Offensiv und punktgenau, fast triumphal, wie es in Kommentaren hieß, präsentierte er sein Programm der Fairness. Das war zwar ein Drahtseilakt: Schließlich, so die Regel, muss sich der Amtsinhaber in seinem Lagebericht als Präsident aller zeigen. Doch diesmal versuchte er gar nicht erst, die Balance zu bewahren, sondern stülpte der Opposition einfach seine Vision über: „Es sind nicht demokratische Werte oder republikanische Werte, sondern amerikanische Werte. Wir müssen sie zurückfordern.“

Namen seiner Hauptopponenten nennt ein Präsident an so einem Abend grundsätzlich nicht, das gehört sich nicht. Dennoch weiß jeder, wen Obama anspricht. Viele seiner Äußerungen sind eine Antwort auf Kritik seiner potenziellen Herausforderer wie Mitt Romney. Klar ist auch, wen er meint, als er sagt: „Ich habe vor, Obstruktion mit Aktion zu bekämpfen.“ Im vergangenen Jahr konnte Obama einen Großteil seiner Vorhaben wegen des Widerstandes der Konservativen im Kongress nicht durchsetzen - so etwa die Steuererhöhungen für die Reichen.

Obama dringt in seiner Rede erneut darauf, und er weiß, dass er damit draußen gut ankommt. Umfragen zeigen, dass die Mehrheit der Amerikaner in diesem Punkt hinter ihm steht. Und ausgerechnet Romney hat dem Präsidenten nur Stunden zuvor unfreiwillig einen wahren Glücksfall beschert. Unter innerparteilichem Druck offenbarte Romney, dass er in den vergangenen zwei Jahren fast 43 Millionen Dollar verdient und darauf gerade mal 14 Prozent Steuern gezahlt hat.

Die Republikaner wissen zweifellos, dass die Steuerfrage ihre Achillesferse sein könnte. Schon vor der Rede Obamas haben sie von Klassenkampf gesprochen, davon, dass Obama Sozialneid schüre. Der Gouverneur von Indiana, Mitch Daniels, stößt in der offiziellen Antwort der konservativen Partei auf Obamas Lagebericht ins selbe Horn: „Kein Merkmal der Obama-Präsidentschaft ist trauriger gewesen als seine steten Bemühungen uns zu spalten, sich bei einigen Amerikanern anzubiedern, indem andere gegeißelt werden.“

Hat Obama es geschafft, die Richtung des Wahlkampfes zu bestimmen, was nach Meinung vieler Experten das Hauptziel dieser Rede war? Um sicherzugehen, dass seine Botschaft auch wirklich ankommt, startet Obama bereits an diesem Mittwoch zu einer Reise in fünf bei der Wahl besonders umkämpfte Bundesstaaten.

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