Analyse: Steinbrück zerpflückt Merkels Euro-Kurs

Berlin (dpa) - Rainer Brüderle gibt heute den Wadenbeißer der Kanzlerin. Peer Steinbrück hat gerade für seine Attacken auf die Euro-Politik von Angela Merkel kräftigen Applaus aus dem SPD-Lager bekommen.

Nun tritt der FDP-Fraktionschef an das Rednerpult - und holt die Keule raus.

„Bundeskanzler ist keine Nebentätigkeit“, keilt Brüderle um kurz nach zehn am Donnerstagmorgen im Bundestag. „Heute sind sie größtenteils den Beweis schuldig geblieben, sich der Größe der Aufgabe bewusst gewesen zu sein“, ruft Brüderle. Steinbrück habe schon als Finanzminister immer alles besser gewusst - aber immer erst hinterher.

Linke-Fraktionschef Gregor Gysi stellt anschließend ein treffendes Urteil über diesen Tag im Bundestag auf, wo Merkel sich erstmals mit dem Kanzlerkandidaten Steinbrück duelliert. „Heute hat jetzt offiziell der Bundestagswahlkampf begonnen“, sagt Gysi. Das sei etwas komisch, weil es ja noch gar kein neues Wahlrecht gebe und keinen Wahltermin.

Fast zeitgleich mit Steinbrück hatte Merkel um 8.58 Uhr das Plenum betreten. Dieser darf - zwischen seinen Troika-Kollegen Sigmar Gabriel und Frank-Walter Steinmeier - in der ersten Fraktionsreihe der SPD sitzen. Zunächst betont Merkel in ihrer Regierungserklärung zum EU-Gipfel, dass wenig die dramatische Lage in Europa so deutlich mache wie die Verleihung des Friedensnobelpreises an die EU.

„Sie ist Ansporn und Verpflichtung“, sagt sie und betont: „Dieser Euro ist weit mehr als eine Währung.“ Deutlich wird ihr neuerdings viel konzilianterer Ton gegenüber Griechenland, das nun um fast jeden Preis in der Euro-Zone bleiben soll. Merkel sagt, sie habe bei ihrem Besuch in Athen auch die andere Seite der Medaille kennengelernt. Es gebe einen ernsthaften Willen zur Veränderung und zum Sparen.

Sie entwirft ein Zukunftsszenario für eine stabilere Wirtschafts- und Währungsunion mit mehr Demokratie, einer stärkeren Regulierung der Banken und strengerer Haushaltsdisziplin. Statt reinem Sparen will sie auch einen Wachstumsfonds, der gespeist werden könnte aus einer Finanztransaktionssteuer. Da schallt es laut „Oh“ bei der SPD.

Denn Steinbrück hatte bei seiner letzten Erwiderung auf eine Regierungserklärung Merkels am 27. Februar, als er nur als einfacher Abgeordneter aus dem nordrhein-westfälischen Wahlkreis 105 (Mettmann I) redete, ähnliches schon vorgeschlagen: Eine Finanzmarktsteuer, um mit den Einnahmen Griechenland zu helfen. Diese soll nun eingeführt werden, als Zugeständnis an SPD und Grüne für ihr Ja zum Fiskalpakt.

Um 9.44 Uhr erteilt Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) Steinbrück das Wort, der während Merkels Rede noch an seinem Manuskript gefeilt hatte. Er stimmt Merkel zu, dass das EU-Projekt etwas einmaliges sei. „Europa ist weit mehr als ein Wechselbalg der Ratingagenturen.“ Nach einigen Minuten wechselt er von Staatsmann auf Herausforderer. „Diese Rede und diese Beschreibung Europas hätten sie schon vor zwei Jahren geben müssen“, ruft er Merkel zu. Die Kanzlerin blickt stoisch nach vorne und schaut nur selten zum Herausforderer.

„Deutschlands Zukunft ist Europa“, sagt Steinbrück. Da müsse investiert werden wie in die Wiedervereinigung. „Das den Bürgern zu erklären, Frau Bundeskanzlerin, das ist Ihre Pflicht.“ Wenn Griechenland mehr Zeit zum Sparen bekomme, brauche es ein drittes Hilfspaket. „Warum, um Himmels Willen, haben Sie so ein Bekenntnis zum Verbleib Griechenlands in der Euro-Zone nicht im Sommer 2010 abgegeben?“ Stattdessen habe sie zugelassen, dass die CSU-Politiker Markus Söder und Alexander Dobrindt, aber auch Brüderle und FDP-Chef Philipp Rösler versucht hätten, Griechenland aus der Euro-Zone zu mobben. „Das Porzellan, das zerschlagen wurde, bleibt zerschlagen.“

Jetzt gebe es mal wieder eine 180-Grad-Wende. Es falle „kein Wort mehr über einen Rauswurf Griechenlands.“ Und während klammen Euro-Staaten vorgeschrieben werde, keine Wohltaten wie ein Betreuungsgeld einzuführen, handele die Regierung genau andersherum. Das stärke nicht die Glaubwürdigkeit. „Wer betreibt eigentlich eine Wirkungsanalyse all dieser Initiativen?“, fragt er mit Blick auf die EU-Spar- und Wachstumspläne. „Da blickt doch keiner mehr durch.“

Genüsslich zerlegt Steinbrück Merkels Euro-Politik - allerdings belegen Umfragen, dass die Bürger ihr mehr vertrauen, auch weil die SPD im Verdacht steht, eine Ausweitung der Vergemeinschaftung von Schulden in Kauf zu nehmen. Zwischendurch wird Steinbrück in seiner Rede auch von seinen eigenen Problemen eingeholt. „Werden Sie nicht nervös“, ruft er dem dazwischenrufenden Brüderle zu, der auf seine hohen Nebeneinkünfte anspielt. Steinbrück blafft Brüderle an, Union und FDP würden ja eine centgenaue Offenlegung für alle blockieren.

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