Analyse: Schäuble fordert Benzinsteuer wegen Asylkrise

Berlin (dpa) - Die Kosten für die Bewältigung der Flüchtlingskrise sollen keiner bestimmten gesellschaftlichen Gruppe aufgebürdet werden. Das hat die Bundesregierung so vereinbart. Union und SPD wollen damit Ressentiments gegen Asylbewerber und Neid-Debatten vermeiden.

Analyse: Schäuble fordert Benzinsteuer wegen Asylkrise
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Mit seiner Forderung, Autofahrer sollten über eine europäische Benzinsteuer zur Finanzierung der Flüchtlingspolitik beitragen, hat sich Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) nun überraschend von diesem Grundsatz entfernt.

Entsprechend laut ist der Aufschrei. Viele fühlen sich an die Debatte vom Dezember erinnert, als CSU-Chef Horst Seehofer die Unionspläne für eine schrittweise Abschaffung des Solidaritätszuschlags wegen der Flüchtlingskosten infrage gestellt hatte. SPD-Vize Ralf Stegner lästert über eine neue „Flüchtlingsmaut à la Schäuble“. Selbst aus Sicht der Grünen - einer höheren Besteuerung von Benzin und Diesel früher nicht abgeneigt - ist Schäubles Vorschlag „ein Schuss in den Ofen“. Seine Umsetzung würde „den gesellschaftlichen Zusammenhalt“ gefährden, warnt die Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt.

Doch Schäuble geht es eigentlich gar nicht um die deutschen Autofahrer. Und mit dem Geld, das über die Benzinsteuer eingesammelt würde, sollten er auch keine Asylbewerberheime in Deutschland errichtet werden. Er will damit Abwehrstrategien finanzieren, zum Beispiel eine wirksamere Sicherung der Schengen-Außengrenzen und Hilfen für die Türkei, die 2,5 Millionen syrische Flüchtlinge beherbergt. Schäuble sagt, diese wichtigen Aufgaben müssen jetzt erledigt werden. Und: Am Geld solle es nicht scheitern.

Natürlich baut Schäuble mit der Steuer-Idee auch eine neue Drohkulisse gegenüber EU-Staaten auf, die sich in der Asylkrise bisher erfolgreich wegducken - und zwar sowohl, was die Aufnahme von Flüchtlingen angeht, als auch finanziell. Ein Sprecher des Finanzministeriums sagt, die Äußerungen des Ministers seien in einem europäischen Kontext zu verstehen: „Unser Ziel ist es, die Dinge auf EU-Ebene in Bewegung zu bringen.“

Bereits nach dem Treffen der EU-Finanzminister am vergangenen Freitag knurrte Schäuble: „Noch glauben zu viele, es ist ein Problem Deutschlands.“ Und er nahm die Kanzlerin in Schutz, die „zu Recht seit einem halben Jahr sagt, wir verteidigen Europa“. Auch in der „Süddeutschen Zeitung“ solidarisiert sich Schäuble mit Angela Merkel, die wegen ihrer Flüchtlingspolitik auch in der CDU immer stärker unter Druck gerät. Er sagt: „Natürlich ist mit der Situation keiner zufrieden, das fängt mit der Parteivorsitzenden an.“

Trotzdem fragen sich jetzt viele: Ist Schäuble wirklich der loyale Parteisoldat, dem es vor allem darum geht, den Traum eines geeinten Europa zu retten? Oder spricht hier wieder einmal der Reservekanzler, der in der Flüchtlingsfrage Druck auf die EU-Partner ausübt, während Merkel die Hoffnung auf schnelle Lösungen dämpft. „Wie das weitergeht, müssen wir sehen“, antwortet sie in ihrem aktuellen Video-Podcast auf die Frage, ob die geplante Zahlung von drei Milliarden Euro an die Türkei wirklich zu einem Rückgang der Zahl der Asylbewerber führen wird.

Allerdings ist Schäuble, der von den Bürgern in Umfragen aktuell viel bessere Noten erhält als Merkel, schon zu lange im Geschäft, um nicht zu wissen, dass man sich unbeliebt macht, wenn man Millionen von Autofahrern in die Taschen greift. Die Alternative für Deutschland, die mit ihrer harten Haltung in der Flüchtlingspolitik jetzt in bundesweiten Wählerumfragen bei zehn bis elf Prozent liegt, ist über seinen Vorschlag auf jeden Fall begeistert. Der AfD-Landesvorsitzende Marcus Pretzell frohlockt im Kurznachrichtendienst Twitter: „Schäuble, unser AfD-U-Boot bei der CDU. Der macht einfach zu offensichtlich Wahlkampf für uns.“

Julia Klöckner, die CDU-Spitzenkandidatin in Rheinland-Pfalz, findet Schäubles Vorschlag mit Blick auf die Landtagswahl im März nicht sonderlich hilfreich. Sie greift zum Telefonhörer, ruft Schäuble an und Merkel. Dann verkündet Klöckner, die EU-Benzinsteuer sei vom Tisch. Selten ist eine Drohkulisse so schnell in sich zusammengestürzt.

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