Analyse: Rösler-Sieg auf Leihbasis

Berlin (dpa) - Für einen Sieger lässt sich Philipp Rösler an diesem Wahlabend sehr viel Zeit. Fast anderthalb Stunden schon steht fest, dass die FDP allen Umfragen zum Trotz in Niedersachsen wieder im Landtag sitzt.

Es wird 19.21 Uhr, bis Rösler im Thomas-Dehler-Haus aus dem dritten Stock ins Erdgeschoss herunter kommt. Dort steht der 39-Jährige ganz allein auf der Bühne. Es dauert eine ganze Weile, bis der Parteichef und Vizekanzler bei dem Jubel zu Wort kommt. "Philipp"-Sprechchöre gab es hier noch nie.

9,9 Prozent sind es nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis für die FDP am Ende geworden - so gut war die Partei seit der Bundestagswahl im Herbst 2009 (14,6 Prozent) nicht mehr. Für Schwarz-Gelb - Röslers großes Ziel in seiner Heimat Niedersachsen - reicht es aber nicht. SPD und Grüne haben im neuen Landtag einen Sitz mehr als CDU/FDP.

Im Dehler-Haus hatte Rösler Stunden zuvor seine Anhänger gewähren lassen. „Ein großartiger Tag“, sagt er dann. „Nicht nur für Niedersachsen, sondern für die FDP und die Liberalen in ganz Deutschland.“ Damit macht er sofort deutlich, dass er sich seinen Teil des Erfolgs nicht nehmen lassen will.

Die anderen Schwergewichte aus der FDP-Führung stehen rechts unten am Rand, wo Röslers Frau Wiebke im gelben Kleid zu finden ist. Dort wird geklatscht, wenn auch nicht ganz so heftig wie anderswo im Saal. Selbst Fraktionschef Rainer Brüderle, der Rösler erst am Freitag öffentlich angezählt hatte, bewegt die Hände zusammen. Dann drückt er gleich wieder auf seinem Smartphone herum. Entwicklungsminister Dirk Niebel bleibt in der zweiten Reihe.

Der heftig gescholtene Niebel will am Montag in den Gremien erneut eine schnelle Klärung der Personalfragen einfordern. Daran ändere auch der Niedersachsen-Sieg nichts. Die Erfolge in NRW und Schleswig-Holstein hätten der FDP in den bundesweiten Umfragen schließlich auch nichts gebracht.

Denn wie groß ist Röslers Anteil an dem Sieg tatsächlich? Hinter den Kulissen flüstern die ersten Alphatiere, man dürfe sich von der großen Zahl nicht blenden lassen. Die CDU-Leihstimmen hätten die FDP gedopt.

Mancher in der Parteispitze hätte insgeheim wohl eine Niederlage oder ein mageres Ergebnis rund um fünf Prozent in Kauf genommen - nur um Rösler rasch zu stürzen. Ein Königsmord aber nach fast 10 Prozent, das dürfte ziemlich schwierig sein. Nach Putsch riecht es also erst einmal nicht mehr. Selbst der notorische Störenfried Wolfgang Kubicki sagt: „Philipp Rösler wackelt nicht.“

Wird der Parteitag noch von Mai auf März vorgezogen, wie es die Rösler-Gegner vor der Wahl verlangt haben? Rösler könnte das nun machen, um sich mit dem Traumergebnis aus Niedersachsen im Rücken für zwei weitere Jahre an der Spitze bestätigen zu lassen. Um seinen Rivalen Brüderle dauerhaft auszubremsen, soll der am Montag wohl zum Spitzenkandidat für die Bundestagswahl ausgerufen werden.

Unter dem Strich könnte sich dieser Sieg für die FDP als flüchtig erweisen. Kanzlerin Angela Merkel dürfte großes Interesse haben, dass ihre Union nicht noch einmal so viele Stimmen an die FDP verschenkt. Wirtschaftsminister Rösler muss jetzt aufpassen, seinen Erfolg nicht übermütig zu verspielen. Das passierte ihm bei der Bundespräsidentenwahl - als er nach dem Gauck-Coup die Kanzlerin mit einem Frosch verglich.

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