Analyse: Prozess lässt Ägypter den Atem anhalten

Kairo (dpa) - Der Hauptangeklagte ist vorgeladen. Der Innenminister hat seine Vorführung ausdrücklich angeordnet. Ein Gerichtssaal für 600 Zuschauer ist vorbereitet.

Auch der eiserne Käfig ist fertig, der den Angeklagten in ägyptischen Strafverfahren als Aufenthaltsort während der Verhandlung zugewiesen wird.

Dennoch schwebt immer noch ein Fragezeichen darüber, ob der Bürger Husni Mubarak (83), bis zum 11. Februar Präsident, derzeit unter Arrest im Luxusspital von Scharm el Scheich und angeklagt der tödlichen Gewalt gegen Demonstranten, tatsächlich vor seinem Richter Ahmed Rifaat erscheinen wird. „Werden wir Mubarak übermorgen im Gerichtssaal sehen?“, titelte die Tageszeitung „Al-Gomhurriya“ am Montag. Ägypten hält den Atem an.

Da es im ganzen Land kein Gericht gibt, das Hunderte Zuseher fassen kann, hat man das Auditorium der Nationalen Polizeiakademie am Rand von Kairo umfunktioniert. Diese trug ironischerweise bis zum Umsturz den Namen Mubaraks.

Seit Wochen wollen Anwälte und einflussreiche Sympathisanten des ehemaligen Staatschefs den Eindruck erwecken, dass dieser todkrank sei. Er soll an Magenkrebs leiden, hieß es einmal, bereits ins Koma gefallen sein ein anderes Mal. Die Ärzte dementierten. Der Ex-Präsident sträubt sich gegen den Prozess, der live vom ägyptischen Fernsehen übertragen werden soll.

Angeklagt ist Mubarak wegen Beihilfe zur Tötung von 846 Demonstranten, wegen Amtsmissbrauchs und Korruption. Seine Polizisten, Geheimdienstler und Zivilschläger hatten unverhältnismäßige Gewalt gegen friedlich demonstrierende Bürger angewandt, meinen die Staatsanwälte. Im Falle der Verurteilung droht ihm sogar die Todesstrafe.

Mit angeklagt sind Innenminister Habib al-Adli und sechs ehemalige leitende Beamte seines Ministeriums. Sie sollen unmittelbar für die Schießbefehle verantwortlich gewesen sein. Ihr Verfahren begann vor drei Monaten schleppend - und wurde nun mit dem Mubarak-Prozess zusammengelegt. Wegen der notorischen Korruption werden auch Mubaraks Söhne Gamal und Alaa vor dem Richter stehen.

„Der Prozess hat enorme Bedeutung“, meint Mahmud Afifi, ein Sprecher der Jugendbewegung 6. April, eine der treibenden Kräfte hinter den Massenprotesten und dem Umsturz. „Er war ein schlimmer Diktator. Er verdient Strafe für seine Verbrechen. Wir wollen aber auch den Tag seiner Verurteilung sehen.“ Afifis Organisation hatte - zusammen mit anderen Aktivisten-Gruppen - ihren Anteil daran, dass der Prozess gegen Mubarak nun angesetzt ist und öffentlich sein wird.

Gegen den kaum verhohlenen Widerstand des herrschenden Militärrates hatte die Protestbewegung unermüdlich darauf gedrängt, die Verantwortlichen des alten Regimes endlich strafrechtlich zu verfolgen. Ihre Angehörigen gingen auf die Straße, bearbeiteten die Medien und besetzten den Tahrir-Platz in Kairo erneut drei Wochen lang.

Dem Militär - und auch vielen zivilen Ägyptern - gilt Mubarak als Kriegsheld. Als fähiger Luftwaffen-Chef soll er 1973 dazu beigetragen haben, dass Ägypten im Yom-Kippur-Krieg mit Israel einen Teil der Terrainverluste aus dem Sechstagekrieg von 1967 wettzumachen vermochte. Aber auch materiell hat die Armee von Mubarak profitiert. Sie hat ihr eigenes ziviles Wirtschaftsimperium und muss niemandem darüber Rechenschaft ablegen.

Doch nun liegt das Schicksal des vom Volkszorn hinweggefegten Staatschefs in den Händen der zivilen Justiz. „Wir werden Recht sprechen, wie es uns Gott befohlen hat, und werden der Gerechtigkeit dienen“, erklärte Richter Rifaat am Sonntag auf einer Pressekonferenz. Der Vorsitzende des Senats Nr. 5 am Strafgericht Nord-Kairo versprach ein durchgängiges Verfahren. Das würde es von den sonstigen Prominenten-Prozessen in Ägypten unterscheiden. Diese werden nämlich eröffnet und umgehend auf irgendwann später vertagt.

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