Analyse: Luftalarm im „King David“

Jerusalem (dpa) - Man hätte es ahnen können. Irgendwann, in der Mittagszeit, heulen in Jerusalem am Dienstag tatsächlich die Sirenen - Luftalarm. Wegen einer Rakete, aus dem von der radikal-islamischen Hamas beherrschten Gazastreifen auf Israel abgefeuert.

Nichts passiert. Die Rakete landet außerhalb der Stadt, ohne dass sie großen Schaden anrichtet. Aber so bekommt Außenminister Guido Westerwelle doch noch einen einigermaßen direkten Eindruck davon, was der Gaza-Konflikt für die Menschen in Israel bedeutet.

Als der Alarm losgeht, hält sich der deutsche Minister zu einer Besprechung im „King David“ auf, einem Fünf-Sterne-Hotel, das großen Wert auf Tradition legt. Auf dem Fußboden sind mit ihren Unterschriften die wichtigsten Staatsgäste verewigt, die seit der Gründung 1931 hier abgestiegen sind. Winston Churchill findet sich hier, die Kennedys und auch Helmut Kohl.

Aber so voll wie dieser Tage war es im „King David“ schon lange nicht mehr. Am Dienstag hätten sich Westerwelle, US-Außenministerin Hillary Clinton und UN-Generalsekretär Ban Ki Moon praktisch die Klinke in die Hand geben können. Wegen des neu ausgebrochenen Gaza-Konflikts gehört Jerusalem wieder einmal zu den Top-Reisezielen der internationalen Diplomatie.

Mit großem Nachdruck wird versucht, Israelis und militante Palästinenser aus dem Gazastreifen zu einem Waffenstillstand zu bewegen - oder zumindest zu einer Feuerpause, die länger als wenige Stunden hält. Die blutige Bilanz nach einer Woche gegenseitiger Luftangriffe: mehr als 100 Tote, fast alle auf Seiten der Palästinenser. Israel hat drei Opfer zu beklagen.

Deutschland hat sich in der jüngsten Auseinandersetzung klar positioniert - auf Israels Seite. Bei allen Friedensappellen betonen Kanzlerin Angela Merkel und Westerwelle immer wieder das Recht des jüdischen Staates, sich gegen Angriffe aus dem von der Hamas beherrschten Gazastreifen zu verteidigen. Im Unterschied zu europäischen Partnern wie Frankreich oder Großbritannien hält sich die Bundesregierung auch mit Warnungen vor einer israelischen Bodenoffensive zurück.

Öffentliche Kritik an Israels Vorgehen gibt es schon gar nicht. Es gilt der Satz von der „Staatsräson“, den Merkel vor viereinhalb Jahren vor der Knesset zu Protokoll gab - der Satz von der „besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die Sicherheit Israels“, die „Teil der Staatsräson meines Landes“ geworden sei. Angesichts von sechs Millionen Juden, die von den Nazis ermordet wurden, sieht Westerwelle das genauso.

Bei seinen Treffen mit Staatspräsident Schimon Peres, Regierungschef Benjamin Netanjahu und Außenminister Avigdor Lieberman versicherte er stets zu Beginn: „Wir stehen an der Seite unserer Freunde in Israel. Israel hat das Recht, sich selbst und seine Bevölkerung zu verteidigen.“ Im Unterschied zu dem einen oder anderen Amtsvorgänger will der Außenminister auch von einer deutschen Vermittlerrolle nichts wissen. „Ich will hier keine Erwartungshaltung wecken. Es geht darum, dass wir von verschiedenen Seiten abgestimmt vorgehen.“

Westerwelle legt Wert darauf, dass Berlin in diesem Konflikt nicht neutral ist - trotz der besonderen Beziehungen zur Palästinenserbehörde in Ramallah und auch der Kontakte zur Hamas, über die man öffentlich nicht spricht. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas war der Einzige, den Westerwelle nach seinen vielen Terminen mit Israelis von der palästinensischen Seite traf. Am Nachmittag machte er sich dann noch kurzfristig auf den Weg nach Ägypten, wo sich die Anzeichen für einen baldigen Durchbruch bei den Bemühungen um eine Waffenruhe mehrten.

Dafür verzichtete er auf einen Besuch in der israelischen Kleinstadt Kiriat Malachi im Süden des Landes. Dort waren vergangene Woche die bislang einzigen israelischen Opfer zu beklagen. Auch einen Abstecher in den Gazastreifen ließ er aus naheliegenden Gründen sein.

Auch so waren die Sicherheitsvorkehrungen ungewöhnlich hoch. Noch vor dem ersten Gespräch wurden in der deutschen Delegation „Verhaltensregeln für den Verteidigungsfall“ verteilt: beim ersten Ton einer Sirene möglichst in den Bunker oder einen Raum ohne Außenwände, ansonsten flach auf den Boden legen und den Kopf mit den Händen schützen. Solch ein Merkblatt gab es bei der Reise eines deutschen Außenministers in jüngerer Zeit nicht.

Trotzdem verzichtete Westerwelle darauf, beim Luftalarm im „King David“ in den Keller zu gehen. Der Minister wurde lediglich von Sicherheitsbeamten aus seinem Zimmer in ein fensterloses Treppenhaus gebracht.

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