Analyse: Langsame Absetzbewegungen der Parteien

Berlin (dpa) - Typische Reflexe von Koalition und Opposition gibt es in der Affäre um Christian Wulff nicht. Weder bauen die einen mit vereinten Kräften einen Verteidigungswall um den Bundespräsidenten.

Noch arbeiten die anderen forsch auf einen Rücktritt hin. Positionen und Motive:

- CDU/CSU: Der Union ist daran gelegen, dass die Causa Wulff nicht zur Causa Angela Merkel wird. So wartet die Kanzlerin erstmal ab. Vize-Regierungssprecher Georg Streiter betont erneut, „dass die Bundeskanzlerin volles Vertrauen darin hat, dass der Bundespräsident auch weiterhin alle anstehenden Fragen umfassend beantworten wird“. Merkel brachte Wulff ins Amt. Ihr langes Schweigen im Fall von Wulffs Vorgänger Horst Köhler war ihr intern als mangelnde Rückendeckung ausgelegt worden. Wulffs Rücktritt wäre auch eine Niederlage für die CDU-Chefin - zugleich dürfte ein mit Selbstverteidigung beschäftigter Wulff auch Merkels Ansehen belasten. Ein schneller Rücktritt wäre - aus verbreiteter Sicht in der Union - überraschend. Öffentlich gefordert wird die Aufgabe nur von der früheren DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld. Solidaritätsbekundungen sind aber Mangelware. „Es kann auch nur er sagen, warum er was wie gemacht hat“, sagt CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt. Niemand weiß, was noch kommt. Am 18. Januar tritt der niedersächsische Landtag wieder zusammen - die Opposition hat zahlreiche Fragen zum ehemaligen Ministerpräsidenten angekündigt.

- FDP: Für die Freidemokraten ist die Lage nicht viel einfacher. Gemeinsam mit der Union wählten sie Wulff im Juni 2010 in der Bundesversammlung. Der FDP-Bundestagsabgeordnete Erwin Lotter fordert Wulffs Rückzug. Das sei aber eine Einzelmeinung, betont Baden-Württembergs FDP-Chefin Birgit Homburger. FDP-Vize Holger Zastrow bezweifelt, dass Wulff die für einen Präsidenten angemessene Größe an den Tag legte. In der Bundesversammlung haben Union und FDP nur noch eine knappe Mehrheit - sollte sich Merkel mit der Opposition auf einen Konsenskandidaten verständigen, wäre die strauchelnde FDP weiter geschwächt.

- SPD: Ein Wulff-Rücktritt bringe das Land einer Staatskrise nahe, warnte SPD-Chef Sigmar Gabriel kurz nach Weihnachten staatsmännisch. Inzwischen meint Fraktionsvize Axel Schäfer in der „Rheinischen Post“: „Der Bundespräsident ist aus meiner Sicht aufgrund seines Verhaltens nicht mehr tragbar.“ Angesichts der nach wie vor vorhandenen Unterstützung für Wulff in der Bevölkerung könnten sich laute oder zu frühe Rücktrittsforderungen als Bumerang erweisen. Und was wäre im Fall eines Rücktritts? Ein möglicher zweiter Anlauf von Wulffs Gegenspieler von 2010, dem früheren Chef der Stasi-Unterlagenbehörde Joachim Gauck, ist völlig ungewiss. Naturgemäß kann es der größten Oppositionskraft auch gefallen, wenn die Affäre Wulff noch länger köchelt und immer mehr zum Manko Merkels wird.

- Linke: Die Linkspartei hat als erste - in Person eines führenden Mitglieds - den Rücktritt des Präsidenten verlangt - wenn sich die Parteispitze bisher auch zurückhält. „Das Maß ist voll“, sagte Fraktionsvize Ulrich Maurer. Schließlich will man sich nicht von den Konkurrenten links der Mitte in der Frage überbieten lassen. Doch auch die - im Übrigen selbst an Personalquerelen gewohnte - Linke kann sich keineswegs sicher sein, dass ihr eine vorzeitige Einberufung der Bundesversammlung nutzt.

- Grüne: Parteichefin Claudia Roth sieht das Problem ganz bei der Kanzlerin - der Präsident aber müsse seine Autorität selbst einschätzen. Mit Fraktionsvize Fritz Kuhn meint aber bereits einer der Führungsfiguren der zweiten Reihe, Wulff sei den Anforderungen des Amts als Bundespräsident nicht gewachsen.

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