Analyse: Kein schneller Ausstieg aus S21 möglich

Stuttgart (dpa) - Der jahrelange Widerstand gegen Stuttgart 21 hat sich für die Grünen in Baden-Württemberg und insbesondere in der Landeshauptstadt Stuttgart ausgezahlt. Doch wer nach dem Wahlsieg von Grün-Rot bei der Landtagswahl einen schnellen Ausstieg aus dem 4,1 Milliarden Euro teuren Projekt erwartet, hat sich getäuscht.

Welchen Spielraum haben die künftigen Koalitionäre bei Stuttgart 21?

Die Grünen dringen auf einen Bau- und Vergabestopp, damit ein möglicher Ausstieg nicht noch teurer wird. Doch zwingen kann die Bahn niemand, die vor gut einem Jahr begonnenen Bauarbeiten zu stoppen. Bahnchef Rüdiger Grube hatte immer wieder auf die bestehenden Verträge hingewiesen, an die sich sein Konzern auch gebunden fühle. Die SPD, die das Vorhaben befürwortet, äußert sich zurückhaltender. Es sei hilfreich, wenn keine weiteren Aufträge erfolgten, heißt es. Allerdings würde es die Position der Partei untermauern, wenn durch neue Fakten das Vorhaben immer unumkehrbarer würden.

Wie teuer könnte ein Ausstieg aus Stuttgart 21 werden ?

Bahn-Vorstand Volker Kefer hatte bereits während der Schlichtung im vergangenen Herbst eine Schadenersatzklage von 1,5 Milliarden Euro angekündigt. Darin sind Planungskosten, bereits erteilte Aufträge und Strafzahlungen für entfallende Aufträge enthalten.

Wie reagiert die Bahn auf die neue Lage?

Die Bahn kündigte am Dienstag einen vorläufigen Vergabestopp an. Der Konzern verhandelt gerade einen wichtigen Auftrag, die Vergabe des mehrere 100 Millionen Euro teuren Tunnels aus dem Stuttgarter Talkessel zum Flughafen auf den Fildern. Wäre es zu dieser Vergabe gekommen, wären weitere teure Fakten geschaffen wordenj, die die möglichen Kosten eines Ausstiegs des Landes in die Höhe schießen lassen.

Wann ist mit einer Volksabstimmung zu rechnen?

Für eine solche Bürgerbefragung muss erst das Resultat des in der Schlichtung empfohlenen Stresstests abgewartet werden. Denn die Computersimulation zur Leistungsfähigkeit des geplanten Tiefbahnhofes im Vergleich zum Kopfbahnhof könnte teure Verbesserungen nötig machen, über die Bürger auch abstimmen müssten. Die möglichen Mehrkosten könnten nach Angaben der scheidenden Verkehrsministerin Tanja Gönner (CDU) 150 Millionen Euro betragen. Andere rechnen mit bis zu einer halben Milliarde Euro, insbesondere wenn der Bahnhof um ein neuntes und zehntes Gleis erweitert werden muss. Die Bahn hat die Ergebnisse der Schweizer Firma SMA für den Sommer angekündigt. Dann wird sich eine Bewertung der Ergebnisse anschließen sowie die Planung für eine Volksabstimmung.

Ist auch denkbar, das die Volksabstimmung nicht stattfindet?

Zwar haben relativierende Äußerungen von SPD-Bundeschef Sigmar Gabriel und Grünen-Bundesvorsitzendem Cem Özdemir zur Volksabstimmung aufhorchen lassen; auch der voraussichtliche Grünen-Ministerpräsident Winfried Kretschmann sorgte am Montag für Kopfschütteln, weil er sagte, nach dem Stresstest wollten Grüne und SPD einen Volksentscheid organisieren - „es sei denn, wir einigen uns in der Sache vorher“. Aber Beobachter betonen, die künftigen Koalitionäre könnten das im Wahlkampf gegebene Versprechen nicht mehr brechen. Dann wäre ihr Bekenntnis zu einem anderen Regierungsstil und mehr Bürgerbeteiligung schon zu Beginn der Regierung ad absurdum geführt. Nur wenn die Bahn als Bauherrin wegen weiterer enormer Kostensteigerungen infolge des Stresstests zum Abbruch bläst, wäre das Aus für Stuttgart besiegelt. Bahnchef Grube hatte als Schmerzgrenze 4,5 Milliarden Euro angegeben.

Warum lehnen die Parkschützer eine Abstimmung ab?

Die Parkschützer lehnen eine Volksabstimmung ganz ab und nutzen für ihre Argumentation ausgerechnet ein von den Grünen in Auftrag gegebenes Gutachten: Danach ist die Mitfinanzierung der Bundesaufgabe Stuttgart 21 durch Land und Stadt Stuttgart verfassungswidrig. „Soll man das Volk über ein verfassungswidrig finanziertes Projekt abstimmen lassen?“, fragen die Parkschützer. Lägen Parkschützer und Gutachter richtig, hätte dies aus Sicht der SPD gravierende Folgen. Dazu sagt der SPD-Landtagsabgeordnete und frühere Stuttgart-21-Sprecher Wolfgang Drexler: „Das wäre der Tod vieler bedeutender Infrastrukturprojekte.“

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