Analyse: Hitzlsperger rüttelt am letzten Fußball-Tabu

Berlin (dpa) - Das letzte große Tabu im Männersport Fußball fällt. Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger wagt das erste und überfällige Coming-out eines bekannten deutschen Kickers. Frühere Mitspieler, Funktionäre und die Politik spenden Beifall.

Dass der 31-Jährige diesen Schritt erst wenige Monate nach Ende seiner Profi-Laufbahn wagt, sagt dennoch einiges über die für Schwule schwierige Situation im teils immer noch homophoben Milieu der Profi-Clubs. „Ich habe mich nie dafür geschämt, dass ich nun mal so bin“, beteuert Hitzlsperger in seinem aufsehenerregenden Interview mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ und erklärt: „Erst in den letzten Jahren dämmerte mir, dass ich lieber mit einem Mann zusammenleben möchte.“

Wie psychisch belastend seine Profizeit beim VfB Stuttgart, Lazio Rom, dem VfL Wolfsburg und in England gewesen sein könnte, lässt auch Hitzlspergers Aussage zu einigen Sprüchen seiner damaligen Teamkollegen erahnen. „Überlegen Sie doch mal: Da sitzen zwanzig junge Männer an den Tischen und trinken. Da lässt man die Mehrheit gewähren, solange die Witze halbwegs witzig sind und das Gequatsche über Homosexuelle nicht massiv beleidigend wird“, beschreibt er rückblickend, wie er manche Äußerung der unwissenden Mitspieler ertrug.

Wie groß der Druck auf schwule Fußballprofis immer noch ist, lassen auch Reaktionen auf Twitter aus der Welt des Spitzensports erahnen. „Bin stolz auf dich. Gute Entscheidung und aus meiner Sicht richtiger Zeitpunkt“, schrieb der ehemalige Nationalspieler Arne Friedrich. Der frühere Handball-Nationalspieler Stefan Kretzschmar twitterte: „Respekt !!! Leider erst nach der Karriere.“

Hitzlsperger hatte sich 2007 in der Meistersaison des VfB Stuttgart, dessen Kapitän er zeitweise war, kurz vor dem Hochzeitstermin von seiner damaligen Freundin getrennt. Mit daraus folgenden Gerüchten um seine sexuelle Orientierung stand der gebürtige Münchner im deutschen Profifußball nicht alleine da - im Gegenteil. Nicht nur in der Schwulenszene war es ein beliebter Sport, in diversen Foren des Internets munter zu spekulieren, wer schwul oder bi ist oder es zumindest sein könnte.

Die Gay-Community befeuerte so auch das Tabuthema schwule Profifußballer. Dabei hatte gerade der ehemalige DFB-Präsident Theo Zwanziger sehr engagiert den bis dahin so konservativen Verband für die Belange schwuler und lesbischer Profis geöffnet, Spieler zu einem Coming-out ausdrücklich ermutigt.

Hitzlspergers Schritt habe „hoffentlich eine positive Wirkung auf die Gesellschaft und den Profifußball der Männer“, sagte Zwanziger „Zeit online“. Auch sein Nachfolger als DFB-Präsident, Wolfgang Niersbach, sagte „jede erdenkliche Unterstützung“ des Verbandes zu.

Hitzlsperger hatte nach eigener Aussage Bundestrainer Joachim Löw und Teammanager Oliver Bierhoff während seiner aktiven Laufbahn nicht über seine sexuellen Präferenzen informiert. „Er hat sich erst nach seinem Karriereende an uns gewandt und uns darüber informiert“, bestätigte Bierhoff. „Dass er sich nun auch öffentlich bekennt, verdient Anerkennung und Respekt. Ich begrüße diesen Schritt.“

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